Rheinsteig Extremlauf 2011
Für sagenhafte Helden/-innen
„Im Ort erzählt man sich das auf dem Drachenfels ein Untier haust. Er soll eine regelmäßige Fütterung des Drachens mit Läufern geben. Eines Tages sei eine junge Läuferin dem Drachen als Opfer dargebracht worden. In ihrer Todesangst habe sie dem Drachen ihre Laufschuhe entgegengehalten. Daraufhin sei der Drache in den Rhein gesprungen und seitdem nicht mehr gesehen worden“
Schweißgebadet wache ich mit dem Buch der „Sagen und Legenden vom Siebengebirge“ in der Hand auf.
Wir laufen heute ein Stück des Rheinsteigs – und dort EXTREM, 34 Kilometer und 1200 Höhenmeter über die Höhen des Siebengebirges hinunter zur Insel Grafenwerth verspricht uns die Ausschreibung. Das Streckenprofil sieht aus wie ein EKG. Auf dem Titelbild sieht man eine lächelnde Susanne Beisenherz, Weltmeisterin im DECA Iron 2006 (10 x 3,8 swim, 10 x 180 km bike, 10 x 42,2 km run). Sie macht nicht nur Werbung für diesen Lauf, sie steht auch an der Startlinie.
Mit fast 400 energischen oder auch weniger energischen Läufern begeben wir uns an den Start in Ramersdorf bei Bonn. Im Gebäude der Telekom gibt es gibt es Kaffee und noch eine Menge Nachmelder. Die Gepäckabgabe befindet sich ebenfalls in diesem Gebäude und die Kleiderbeutel werden per Bus schon mal auf die Insel (Grafenwerth) gebracht.
Es ist kurz vor 8:00 Uhr. Wir treffen Wolfgang, werden uns aber nicht lange sehen, denn er reiht sich doch gleich relativ weit vorne ein. Auch Dirk, der hier seinen ersten Berglauf unter die Sohlen nimmt, möchte lieber aus den ersten Reihen starten. Wir stehen vor dem Besenfahrrad und hoffen, dieses auch das letzte Mal zu sehen, höchstens erst wieder im Ziel.
Wir laufen fast das ganze Stück identisch entlang des Rheinsteigweges. Der Rheinsteig wird im Volksmund auch „Rheinische Alpen“ genannt und dies zu recht, wie sich später herausstellen wird. Stau, dieser war vorher gesagt. Jeder reiht sich ein und wartet bis er mit der Erklimmung der Stufen dran ist. Ein erster, etwa drei Kilometer langer und steiler Aufstieg führt durch einen Laubmischwald zum 1820 erbauten Foveaux-Häuschen. Die wäre eigentlich schon mal ein geeigneter Ort für die erste Rast, aber unsere Uhr läuft und wir sind gut drauf. Wir wollen und können zwar nicht gewinnen, aber hoffen, noch im Mittelfeld zu finishen. 6 Stunden bis Zielschluss, es müssen nur die Zeiten an den Kontrollstellen eingehalten werden. Weiter geht es durch einen herrlichen Buchenwald. Die dicht mit Efeu behangenen Bäume erinnern an einen magischen Sagenwald.
„Viele Kilometer legt der hürnene Siegfried zurück. Er sieht Berg und Strom. Mutig erklimmt sie der Renner und trägt den Reiter an ein verzaubertes Schloß, das eine wabernde Lohe flammend umzüngelt. Unschlüssig steht Jung-Siegfried, und wiederum klingt über ihm des trillernden Waldvögleins helles
Gezwitscher:
Lös den Bann! Hinein
Spreng mit Heldenmut
In die Feuersglut!
Schönste Maid wird dein“
Noch sind wir so frisch, dass uns an vielen Stellen skurril und bizarr geformte Bäume auffallen. Die Bäume haben in einer Höhe von etwa ein bis zwei Metern seltsame Verdickungen, bevor der Stamm gerade nach oben geht. Es handelt sich um sogenannte Kopfbuchen. Zeugnis einer längst vergessenen und sehr speziellen Waldnutzung. Die Kopfbuchen wurden früher regelmäßig geköpft. Die austreibenden Äste und Stämme nutzte man als Brennholz, Weinbergspfähle, Bohnenstangen, etc. Dies nur mal so am Rande. An den nassen Steinen am Bach gedeiht ein bandförmiges Moos namens Conocephalum. Seine Besonderheit: Streicht man mit den Händen darüber, riechen sie anschließend nach Terpentin. Dies auch nur mal so am Rande.
Nach einem weiteren Wegabschnitt durch die Buchenmischwälder passieren wir den 16 m tiefen Dornheckensee. Molch, Erdkröte, Gras- und Grünfrosch sollen hier mit FKK-Anhängern konkurrieren. Nun erreichen wir den ersten Aussichtspunkt mit einem fantastischen Blick auf den ehemaligen Steinbruch und das Rheintal. Kay nimmt mal wieder einen Umweg in Kauf und läuft zum Aussichtspunkt. Dort hält er mit der Kamera den Blick auf die Steinbrüche und den Blick zurück auf Bonn mit seinem Post-Tower im Bild fest. Die meisten laufen hier nur vorbei, auch ich.
An weiteren Steinbrüchen geht es vorbei. Hier in der Nähe wurde 1914 von Steinbrucharbeitern das Doppelgrab von Oberkassel entdeckt. Es sind gut erhaltene Skelette eines Mannes und einer Frau, Überreste eines Hundes und weitere Tierreste und zwischen 12.000 und 14.000 Jahre alt! Hajo läuft auf uns auf und wir laufen ein sehr langes Stück gemeinsam und so lange es noch geht, erzählen wir uns, von Läufen die man doch unbedingt mal gemacht haben sollte und Läufen, die kein Mensch braucht.
In den kleinen Bachtälern am Umfeld der Straße wächst hier und da eine floristische Besonderheit: der Riesen-Schachtelhalm. Schachtelhalme lagern in ihrem Zellwänden Silikat ein. Darum wurden sie früher als Scheuer- und Poliermittel verwendet. Daher kommt auch der Name „Zinnkraut“. Dies nur mal so am Rande.
Wir sehen Weinberge in der Nähe von Oberdollendorf. Schon in der Römerzeit sollen diese nördlich gelegensten Weinberge am Rhein gepflanzt worden sein. Noch nehmen wir alle Eindrücke und die Schönheit der Strecke auf.
Schon erreichen wir den 331m hohen Petersberg. Wir laufen durch ein schön angelegtes Anwesen am Steigenberger Grandhotel, dem historische Gästehaus der Bundesregierung, an dem uns die Getränke an einer Verpflegungsstelle mit „Stil“ gereicht werden. Die sonst üblichen Festzelt-Tische sind mit weißem, gestärktem Tischtuch gedeckt. Wo es raufgeht, da geht’s auch wieder runter und auch wieder rauf.
Der nächste Anstieg führt uns auf den 324 m hohen Geisberg. Hier haben wir einen wunderbaren Blick auf den Drachenfels und das Siebengebirge. An einigen Stellen sieht man Info-Tafeln zur Geologie des Siebengebirges.
Nun geht es hinab zum Milchhäuschen. Dies ist ein Ausflugslokal und wir brauchen nicht neidvoll auf die Teller der Wanderer zu schauen, denn hier befindet sich eine weitere Verpflegungsstation. Eine erstmalige Erwähnung fand das „Milchhäuschen“, bzw. das Gebäude, welches früher an dieser Stelle stand, im Jahre 1826. Man vermutet heute, dass es Teil des Burghofes war, der die Wolkenburg und die Burg Drachenfels mit landwirtschaftlichen Produkten versorgte und ehemals der Milch- und Schweinewirtschaft diente.
Um sich beim Laufen wohl zu fühlen, bedarf es keiner Menschenmassen an der Strecke und die Anstrengung muss auch nicht unbedingt in völliger Erschöpfung enden. Man lernt mit der Zeit, störende oder negative Gedanken auszuschalten. Ich erlebe bei langen Läufen oft einen freien Gedankenstrom. Hier jedoch muss ich mich auf die Strecke konzentrieren denn es geht ziemlich direkt und entsprechend steil auf den Drachenfels. Zum Glück ist er mit seinen 321 Metern nur eine Erhebung mittlerer Höhe im Siebengebirge und so laufe ich ins „Runners-High“.
„Denn ein greulicher Drache haust in jenem Teil des Forstes; der mordet mitleidlos jeden, Läufer dessen Fuß sich in sein Gebiet verirrt. Siegfried hat einen Kohlenmeiler angezündet, und lohend schlug die Flamme aus dem Gebüsch. Da stampft plötzlich mit langgekrallten Füßen das Ungetüm heran, krümmte gierig den schuppigen Leib und wirbelt fauchend die blutige Zunge, um den neuen Kohlenbrenner zu verschlingen. Kampfglühend aber blitzen des jungen Helden Augen, einen flammenden Kloben reist er aus dem Feuerherd und sticht das brennende Ende dem Lindwurm in den gähnenden Rachen. Da wälzt sich das Untier schmerzbrüllend am Boden und schlägt grimmig nach ihm mit dem geringelten Schweif und den gewaltigen Tatzen. Siegfried aber versetzt ihm wuchtige Schläge, weicht ihm geschickt aus und zerschmettert ihm endlich mit einem riesigen Felsblock das Haupt, worauf das Ungetüm röchelnd verendete“.
Kay sucht den Drachen in seiner Höhle, doch diese ist verlassen, jedoch ist eine Telefonnummer hinterlegt. Mehr als die Hälfte der Strecke ist geschafft und hier ist die Kontrollsollzeit 3:15 h. Wir können nur ahnen, wie uns die Muskeln noch schmerzen werden. Aber noch geht es uns gut. Es taucht ein fauchender, diesmal aber liebenswürdiger „Drache“ am Berg auf, der die Menschen bis heute hoch zur Drachenburg bringt: .die Drachenfelsbahn. Sie klettert mühelos den steilen Berg hinauf. Bei ihrer Inbetriebnahme 1883 war die Bahn eine technische Sensation.
Der traditionelle Aufstieg ist aber der sogenannte Eselsweg. Dieser wurde vermutlich schon von römischen Steinmetzen benutzt. Wo sind denn die Esel? Der Blick vom Drachenfels und der Ruine auf Rheintal, Siebengebirge und Eifel ist grandios und für uns auch eine sehr geeignete Gelegenheit noch mal durchzuatmen um uns dann den Berg hinabzustürzen. Es läuft so gut und mir ist es jetzt gerade einmal egal, ob sich das noch rächen wird.
Zunächst führt uns die Route auf die Drachenfelsstraße aus dem Trubel durch Wälder. Es geht vorbei an einem verwachsener Baum, der aussieht wie ein Drache und den Läufern hinterherblickt. Wer findet den Drachen mit Läufer im Bild?
Nun steht der längste Aufstieg bevor, nämlich der auf die Löwenburg. Jetzt haben wir auch den zweithöchsten Berg (455 über NN) des Siebengebirges erklommen und auch hier haben wir die Kontrollsollzeit von 4:15h erreicht. Die Löwenburg-Ruine ist die einzige in den Grundfesten erhaltene Höhenburg am Mittelrhein.
Der Weg führt nun durch Laubmischwälder ins Schmelztal, wo wir eine Landstrasse queren. Für die letzte Kontrollstelle hat man 4:45 h Zeit, das wäre geschafft. An einem Trailabschnitt vorbei durch Nadel- und Buchenwälder steht uns der letzte steile Aufstieg zum Fuß des 366,4 Meter hohen Himmerich bevor. Jetzt rächt sich das übermütige Tempo beim Abstieg – wir müssen gehen und sind nun genauso schnell wie ein paar Wanderer, die uns zur Motivation beim Aufstieg diese Geschichte erzählen: In alten Zeiten war der Drachenfels mit dem Rolandsbogen durch einen Höhenzug verbunden. Dahinter stand ein gewaltiger See. Das ärgerte die Bewohner, und um diesen See nach dem Meere abzuleiten, verdingten sie aus dem Reich der Riesen sieben besonders große Kerle, die einen Damm durch das Gebirge graben sollten. Drei Monde lang wühlten sich die Riesen in den Berg hinein, und endlich bahnten die Fluten des Rheines sich einen Weg durch den Berg. Die Wasser flossen ab und eine fruchtbare Ebene wuchs zu beiden Seiten des Rheines empor.
Mit reichem Lohn beladen, zogen die Riesen ab. Vorher aber klopften sie von ihren Spaten den Dreck ab, und da, als dieser zu Boden fiel, wuchsen sieben Berge empor. Selbst dort, wo die Riesen seitwärts ausgetreten waren und ihre Notdurft verrichtet hatten, wuchs noch ein hoher Berg empor: der Himmerich, der noch heute im Volksmund der “ Riesenschiss“ heißt.
Quellennachweis: „Sage und Geschichte der sieben Berge“ Verlag der Nibelungenhalle. Das war mein „Anker“. Ich wusste, wenn wir hier sind, dann haben wir es bald geschafft. Ein letztes Mal geht es nun steil hinab ins Tal. Durch Wiesen und Weiden wird der Weg allmählich breiter und flacher.
„Siegfried aber bahnt sich den Weg. Ein gewaltiger Sprung bringt ihn mitten ins Flammenmeer, das prasselnd erlischt. Gelöst ist der Bann, vor ihm liegt das Ziel auf der Rheininsel Grafenwerth in wunderbarer Pracht“.
Noch 3 Kilometer durch den Ort über den Altrhein und auf die Zielgerade, und… ich stürze unter dem Zielbogen und falle dem dort platzierten Fotograf fast in die Arme. Peinlich, aber doch auch irgendwie ein Klassiker, oder? Der Lauf hat doch mehr Kraft gekostet als gedacht und die Zeit von 4:03 h war auch nicht eingeplant. Auch für Dirk wird es nicht der letzte Berglauf gewesen sein.
Herrlich, nun endlich im Ziel die Knochen auszustrecken, sich gegenseitig seine Erlebnisse zu erzählen und ein schönes kaltes Radler zu trinken und Brezeln oder Kaffeestückchen zu essen. Als Finisherpräsent gibt es ein für die diese Region typisches Brot und dazu noch ein Glas Siebengebirgshonig. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, nutzen wir noch die Duschen des Freibades in der Nähe des Zielbereiches. Heike fährt uns nach Hause, so kann ich zwei Stunden auf der Rückbank schlafen, um heute noch diesen Bericht zu schreiben.
Mehr zum Thema: Website Rheinsteig-Extremlauf
Alles in allem, eine ganz tolle Veranstaltung mit sehr gutgelaunten Menschen und entspannter Stimmung. Es gibt eine sehr gute Homepage mit guter Beschreibung der Strecke in Bildern.
Es gibt jede Menge steile Höhen, anspruchsvolle Bergab-Passagen. Die Strecke ist unverlaufbar, da gut ausgeschildert. Ein besonderes Highlight unter den Bergläufen. Von den 23 EURO Startgeld gehen je 5 EURO an den Verschönerungsverein Siebengebirge als Spende. Dem VVS untersteht der Rheinsteig im Bereich Siebengebirge, er ist für dessen Instandhaltung zuständig und freut sich über diese Unterstützung durch die Sportler. Ich kann nur empfehlen, sich schnell anzumelden, denn aus Naturschutzgründen ist die Teilnehmerzahl auf 500 begrenzt.
Aufgeschnappt: Wir sind nur 34 Kilometer auf dem Rheinsteig gelaufen, der Rheinsteig hat über 300 Kilometer. Würde man den Rheinsteig bis zur Quelle des Rheins fortsetzten, dann wäre er nicht nur bundesländerübergreifend, sondern sogar international. Bis in die Schweiz ginge es dann und durch den Odenwald und den Schwarzwald.