Palma de Mallorca Marathon 2011
Das haben wir uns verdient
Jeder war schon mal auf Mallorca und jeder weiß davon eine Geschichte zu erzählen. Niemals, so belehrt man mich, darfst du Palma am Sonntag besuchen. Denn dann ist dort „tote Hose“.
Im Sommer, meinen sie, bleibst du der Stadt überhaupt lieber fern, wegen der vielen Touristen. Und zwischen halb zwei und fünf gehst du am besten an den Stand. Denn dann passiert dasselbe wie am Sonntag: nichts. Siesta, einfach nix los in der Stadt. Sie wissen es halt doch nicht. Palma, Palma ist erwacht, Palma pulsiert – und das am Sonntag! Die 700 Jahre alte Kathedrale thront dekorativ über den 9000 Läufern. Sie sieht hübsch aus mit dem sandsteinfarbenen Kleid vor dem blauen Himmel. Das haben wir uns verdient. Nach 16 Bundesländern und vielen schönen und ein paar weniger schönen Läufen, gespickt mit Lauferlebnissen, sind wir nun reif für die Insel, überreif sogar!
Millionen Touristen können sich nicht irren. Sie strömen jährlich nach Palma – tausende mittlerweile auch zum Laufen und es werden immer mehr. Der Reiseveranstalter TUI ist auch Veranstalter dieses Marathons. Aber warum eigentlich zum Laufen nach Mallorca? Jeder mag seinen eigenen Grund haben. Für die einen ist es der „schönste Inselmarathon der Welt“, für die Begleitpersonen vielleicht auch einfach nur die Lust auf einen faulen Strandtag oder die Lust auf Shopping.
Bummeln in Palma macht Spaß, vorausgesetzt: Keine hohen Schuhe – Kopfsteinpflaster. Die zurzeit hippste Boutique von Palma liegt im Künstlerviertel Santa Catalina. Immer wieder entdecke ich etwas anderes. Das Rialto Living, da müssen wir unbedingt noch hin. In einem ehemaligen Kino mit sechs Meter hohen Decken gibt es Mode, Möbel, Mitbringsel auf über 800 qm. Kitsch und Nippes soweit das Auge reicht, der Verstand rebelliert, aber die Seele fühlt sich wohl; Kay´s Seele leidet; ihm reicht es, mir noch nicht, schließlich bin ich Ausdauersportlerin, aber mit Herz. Zum Durchhalten locke ich in ein hübsches altes Eckgeschäft, wo himmlisch Süßes präsentiert wird: Pralinen, Merengues, alles handgemacht. Im Nachbarhaus ein anderes Geschäft. Dort steht auf einer Tafel geschrieben: Schinken von mit Eicheln gefütterten, schwarzen Schweinen – 100g für 12 EURO.
Sehnsucht nach Mallorca-Sand
Der Sand in der Buddelkiste war ihnen nicht gut genug. Darum sind Mitte September zwei Frankfurter Jungs aus dem Kindergarten ausgebüxt und haben sich auf den Weg nach Mallorca gemacht. Leider endete die Reise für die beiden bereits am Frankfurter Hauptbahnhof, wo sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Die zwei Knirpse wussten schon warum sie hier her wollten. Eltern haften für ihre Kinder aber nicht hier. Was viele Unternehmen in Deutschland bis heute immer noch nicht geschafft haben, hier beim Marathon funktioniert es: Kinderbetreuung für Kinder von 3 – 10 Jahren mit einer Kiste gefüllt mit Mallorca-Sand! Bevor jedoch die Eltern am Sonntag an den Start gehen, dürfen sich die Kleinsten bereits am Samstag austoben.
Mit seinen 1.90 m ragt der in Palma geborene Tennisstar Carlos Moya aus der Meute hervor. Langsam hebt er den Arm, die Spannung steigt bei den 2.000 Kids, noch mehr bei den Eltern. Der Startschuss fällt. Sekunden später stürmen die Kits Palmas Straßen. Kay laufen die Fotomotive nur so vor die Linse, leider oft auch die dazugehörigen Erzeuger. Der UNICEF Kids Run ist zur Hauptattraktion des TUI Marathon geworden. Der jüngste Teilnehmer trägt noch Windeln und steht sicherlich erst seit 15 Monaten auf seinen Läuferbeinen. Der sportliche Einsatz, der Kinder und natürlich auch der Eltern, wird mit der kostenfreien Teilnahme am Lauf sowie einer Urkunde, einer Medaille und einem T-Shirt belohnt. Ich beobachte einen in Führung liegenden Jungen. Er hält die Verfolger in Schach. Ziehen die an, zieht er mit an, erst auf der Zielgeraden legt er nochmals einen Sprint hin. Dieser Junge weiß schon genau wie es funktioniert. Ulrike von der Groeben und Indira feuern die Kinder an. Beide werden am Sonntag ebenfalls an den Start gehen, daher scheinen sie sichtlich angespannt.
Nach dem Kids Run, laufen wir zur Startnummernausgabe, wo auch die Pasta-Party, unter freiem Himmel, mit Blick auf die Kathedrale, stattfindet. Das Inselradio bietet die entsprechende musikalische Untermalung. Ein paar Stände, um sich vielleicht noch mit dem Nötigsten auszustatten, sind ebenfalls auf diesem Platz. Müde vom langen Tag und den vielen Eindrücken, fallen wir in unser Hotelbett.
Über dem Ballermann geht die Sonne auf
„Der Wind heulte heute in der Schlucht, der Regen schlug gegen die Scheiben, das Rollen des Donners drang durch die dicken Mauern. Als das Wasser nicht wusste wohin, hatte es sich erst in Pfützen, dann in Lachen und schließlich in Seen über das gesamte Land ausgebreitet. In Mallorca hüllt eine lückenlose Wolkendecke die Insel ein und bleibt dort liegen, bis sie sich bis zum letzten Tropfen entleert hat; das dauert vierzig, fünfzig Stunden.“ Dies schrieb George Sand bei ihrem Besuch auf der Insel mit ihrem Geliebten Frédéric Chopin. Fast 170 Jahre später geht über dem Ballermann die Sonne auf. Sonntagmorgen. Stellt euch einen braungebrannten spanischen Gitarrenspieler vor, in weißes Leinen gehüllt. Er spielt eine leichte, sehnsuchtsvolle Ballade. Jetzt stellt euch vor, wie ihr die wärmende Sonne auf eurer Haut spürt, dazu den Geruch vom Meer. Kutscher warten heute vergebens auf Kunden. Ein Kioskbesitzer stellt seinen Zeitungsständer vor die Tür. Läufer bewegen sich gemütlich Richtung Kathedrale.
Wir wollen nochmal rein. Drinnen halt der Schritt, vorne knien fünf, sechs Mallorquiner, betend. Die 14 Säulen sind mit ihren 22 Metern höher als die des Kölner Doms. Durch die bunte Glasrosette im Osten fällt Licht. Ruhig ist es, niemand stört die Andacht. Die Mallorquiner haben das ganze Jahr über unzählige Prozessionen und Umzüge: Flur- und Stadtumgänge, Umzüge, in denen die Allerheiligste durch die Straßen getragen wird. Bitt- und Bußprozessionen, Prozessionen zu Pferde oder auf den Knien. Es gibt Prozessionen an Ostern, zu Christi Himmelfahrt, zum Tod eines Kirchenheiligen oder Schutzheiligen der Fischer. Eine der größten Prozessionen findet seit 2004 ebenfalls in Palma statt, wo sich „Bruder- und Schwesternschaften“ heute zu einem spektakulären Gang versammeln. Wieder draußen, lautes Leben, laute Klänge vom Inselradio. Die Moderation zweisprachig. Spanisch und deutsch. Es blendet das Meer und die eingecremten Beine der Athleten. Ihr kennt die Atmosphäre vor dem Start eines Marathons.
Backward-Challenge
Thomas will sich einlaufen. Ich nutze die Möglichkeit und laufe mit ihm. Er rückwärts, ich vorwärts. Thomas Dold ist Weltmeister im Rückwärtslaufen auf der Kurzstrecke. Wir haben den sympathischen Rückwärtsläufer bei seinem Weltrekord beim Oberelbemarathon erlebt. 10 Kilometer in 40:58 Minuten. Viele kennen ihn aber auch als Treppenläufer. In diesem Jahr erreichte er erneut den 1. Platz beim Empire State Building Run Up in New York. Nach ein paar hundert Metern wechseln Thomas und ich die Stellung. Ich rückwärts, er vorwärts.
„Wie ist das eigentlich“ frage ich ihn, „gibt es auch rückwärtslaufende Frauen?“ Ich wittere meine Chance für eine Rückwärtslaufkarriere. „Ja“ sagt er trocken, „da gibt schon einige“. Thomas Muskulatur ist nun bereit. Bereit, um gemeinsam mit Achim Aretz, ebenfalls Weltmeister im Rückwärtslaufen (Halbmarathon bis Marathon) bei der „Backward-Challenge“ rückwärts gegen vorwärts über 10 Kilometer, gegen das RTL-Läuferduo anzutreten.
Die Gegner sind die ehemalige Dschungelcamperin Indira und Jürgen Milski, bekannt aus der ersten Staffel des Big Brother und mittlerweile auch Partysänger. Das gesamte in Palma antretende Laufteam von RTL hat wohl so einiges zu büßen. Auf die Halbmarathon-Distanz schickt RTL unter anderem Sportmoderatorin Ulrike von der Groeben und Wolfgang Konz. RTL möchte gerne ein Wörtchen bei der Vergabe des „Running Awards“ und um den Titel „schnellstes Unternehmen Europas“ mitreden. Dies kann uns aber auch egal sein, solange sie mit der Teilnahme den RTL-Spendenmarathon, an dem sich auch TUI mit einer Spende beteiligt, unterstützen. Man könnte nun glauben, wir hätten ein größeres „Büßerkonto“, da wir uns wie immer auf die 42,2 km Strecke begeben.
Salida heißt Start
9:00 Uhr: Über den Paseo Marítimo laufen wir in östliche Richtung. 9:02 Uhr, jetzt wird unsere Zeit gestartet. Gleichzeitig starten wir mit den 10 Kilometerläufern und den Halbmarathonläufern. Wie ein großer Festumzug schlängelt sich die Läuferschar durch die breite Straße. Die Hauptverkehrsader Palmas ist lahmgelegt. Wer hier heute läuft, erobert Palma zu Fuß. Nicht nur zu den Prozessionen werden Trompete, Posaune, Trommel und Rassel ausgepackt. Der erste Teil der Strecke führt fast wie ein Spaziergang an der Promenade des Hafens entlang. Das Meer ist ein einziger Spiegel. Yachten dümpeln. Ein wenig erinnert dieser Blick an Nizza. Auf der anderen Seite sieht man die ersten Läufer und dann all die Menschenmassen, die schon vor uns laufen.
1903 wurde das erste Hotel in der Ciutat eröffnet. Dunkelblau ist die dominierende Farbe der Guardia Civil. Braungebrannt und lässig sehen sie aus mit ihrer Baseball-Cup und dem Polohemd. Ein verwittertes Plakat in rotschwarz kündigt einen Stierkampf an, der bereits vor Monaten in der Hauptstadt stattgefunden hat. Im Juli 2010 hatte Katalonien per Gesetz das Ende der Stierkämpfe beschlossen. Das Verbot tritt formal im Januar 2012 in Kraft. Katalonien ist nach den Kanarischen Inseln die zweite Region Spaniens, die ein Stierkampf-Verbot verhängt. Begegnungskurs. Ich sehe Jürgen, wir klatschen uns ab. Beim Frühstück lachte er noch über meinen Obstteller. „Denn kann ich dir auch empfehlen“ meine Antwort. Er sieht angestrengt aus, keiner hat damit gerechnet, er läuft als Erster der Backward-Challenge nach 10 Kilometern ins Ziel.
Puente Club de Mar bereits nach 3,7 Kilometern – ist hier die erste Verpflegung. Sie sind gut drauf, die Mädels aus England. Die grellen pinkfarbenen Perücken heben sich auf der weißen Haut ab. 15 Minuten nach den Läufern wurden die Walker ins Rennen geschickt. Sie kommen uns auf der gegenüberliegenden Seite entgegen.
Nicht nur in der Karwoche geißeln und verkleiden sich die Menschen, auch hier sehen wir viele Läufer verkleidet und viele davon werden sich geißeln. Wir tauchen ein in die Altstadt. 1988 wurde der Gründer von San Francisco, Los Angeles und San Diego, ein mallorquinischer Mönch, vom Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Miquel Ferrer, der 1713 geboren wurde, studierte an der Universität von Palma. Wer mehr über diese interessante Geschichte wissen möchte, der sollte in das Landstädtchen Petra fahren. Der Ort ist zur Pilgerstätte vor allem US-amerikanischer Touristen geworden. In einem Museum wird an sein Leben erinnert. Wir setzen unseren Lauf durch die Geschichte und die Straßen Palmas fort.
Die Eroberung der Hauptstadt
859 kamen die Wikinger. Sie hatten aber nicht vor, dauerhafte Besitzungen zu erobern. Dann fielen um 1530 immer wieder hunderte von Piraten auf Mallorca ein. Wie heute, waren die Einheimischen den Angreifern stets unterlegen. Auf die Meute von Piraten kamen oft nur 30 Mallorquiner. Die Läuferschar gleicht den Piraten von einst. Die Piraten trugen Kopftücher und Totenköpfe zierten ihre Fahnen, heute ziert der Totenschädel mit gekreuzten Knochen, die Trikots einiger Läufer.
Auch Tom Hanks ist verkleidet gesichtet worden, mit Sonnentuch im Piraten-Look und schwarzem T-Shirt mischte er sich unter die Touristen. Der amerikanische Filmstar ist ebenfalls gerade auf der Insel. Nicht als Forrest Gump, sondern zu Dreharbeiten für das teuerste deutsche Projekt der Filmgeschichte. Die Produktionskosten sollen etwa 100 Millionen Dollar betragen. Die Augenklappe der in die Jahre gekommenen Seeräuber wird heute durch eine coole Sonnenbrille ersetzt. Aber auch das hat seinen Sinn, tarnt doch so mancher seine Augenränder von der langen Nacht am Stand vom Ballermann.
Moderne Piraten haben sich heute im Südwesten der Insel bei Port d Ándratx ins „Düsseldorfer Loch“ gesetzt und die Hanseaten sitzen rund um den „Hamburger Hügel“ in Ca´s Concos südlich von Felanitx. Ortsnamen wie aus Asterix und Obelix. In welchem Piratennest finde ich die Hessen? Ist eigentlich egal, denn nach meinem letzten Rentenbescheid, kann ich mir mit der Suche einer Immobilie noch knapp 20 Jahre Zeit lassen.
Nach 10 km sind wir auf der Prachtmeile angekommen. Ursprünglich fand sich hier der Wassergraben vor der Stadtmauer, der die maurische Stadt vor Angriffen schützen sollte. Im 17. Jahrhundert wurden hier am Passeig d’es Born Ritterturniere ausgetragen. Der Platz liegt schattig. Eindrucksvoll sind die Fassaden der Häuser. San Miguel erreichen wir bei Kilometer 14. Es gibt Versionen, dass sich die Muslime vor dem christlichen Sieg ergeben wollten. Der muslimische Wali zog sich in eine Moschee zurück, die dort stand, wo sich heute die Kirche Sant Miquel befindet. Dort schnitt ihm König Jaime I ohne Mitleid die Gurgel durch.
Die Statue König Jaime I – sehen wir etwa bei 18,5 KM. Es ist die lebhafte Plaza d‘ Espana mit ihren Banken, Geschäften und Restaurants. Hier spucken Busse und Züge die Touristen und Pendler aus den Dörfern aus. Andere fahren von hier mit dem Holz-Zug Richtung Soller ab. Es ist schön, sich mit den Läufern durch die Jahrhunderte treiben zu lassen.
Weiter geht es an einem der größten gotischen Kreuzgänge Europas vorbei, der Kirche San Francesc. Für manchen ist der Marathon wohl hier bereits mehr Kreuzweg als Wallfahrt und manche kämpfen wohl noch mit der Umstellung von Flip-Flops auf Laufschuhe. Es gibt Prozessionsmärsche, an denen wird nachts von Palma aus zur Schwarzen Madonna im Kloster Lluc gelaufen und nicht jeder schafft diesen Marsch. So wird es wohl auch heute sein. Zwischen Brunnen, Blumen und Säulen scheint die Zeit gebannt zu sein, wären da nicht die schrillen, heftigen Schreie der Anfeuerung. Eine Gruppe Flamencotänzer macht Stimmung. Ein Flamencotänzer nimmt mich in den Arm, um mit mir zu tanzen. Kay ist mit den Flamenco-Damen beschäftigt und so kann er meinen tänzerischen Einsatz nicht fotografisch festhalten.
Hier an der Stadtmauer bei Kilometer 20, teilt sich die Strecke. Während die Halbmarathonläufer Richtung Kathedrale laufen, geht es für uns in Richtung S´Arenal. Ich dachte, hier wären wir ihn los, den Porno-Läufer. Sein Outfit entspricht nicht dem Dresscode für einen Marathonlauf. Details werde ich hier nicht schildern, er posiert oft genug vor unserer Kamera und er ist auch nicht abzuschütteln. Vielleicht sollte man solche Exemplare in die Stierkampfarena stellen. Dort hätte er sein Publikum und im Gegensatz zu den Stieren hätte er noch seine Freude daran. Olè.
Hier beginnt nun nicht unbedingt der schönste Teil der Strecke, die Bebauung wird spärlicher. Wir laufen inlandig vorbei an schwarz-weißen Kühen und alten Windmühlen. Diese Mühlen stehen wahrscheinlich nur zu Dekorationszwecken hier.
Halbzeit am Paseo Portixol. Ulrike von der Groeben hat die Halbmarathon-Ziellinie in 1:58:00 Stunden erreicht. Wir laufen am Puro Beach, dem Scene Club auf der Landzunge in Can Pastilla vorbei. Hier kann man es sich tagsüber auf Liegen am Pool angenehm machen, alles ist in Weiß, einfach optimal zum Chillen aber jetzt nicht für uns. Für uns beginnt hier das Erlebnis Ballermann. Ballermann 6 ist ein Strandlokal an der Platja de Palma auf Mallorca. Der Name ist eine Verballhornung der spanischen Bezeichnung Balneario und heißt so viel wie „Heilbad“. Auf einer Strecke von fast 5 Kilometern gibt es fast 15 baugleiche Strandlokale Balneario Nr. 1 bis Balneario Nr. 15 – die Nummerierung erfolgt von Südosten nach Nordwesten.
Bei Kilometer 26,5 KM erreichen wir Can Pastilla. Dies ist im Grunde ein Vorort von S’Arenal und verfügt auch über den größten Charterflughafen Europas. Wie schön ist doch die Anreise mit diesem Verkehrsmittel. War es im 19. Jahrhundert mühsam, nach Mallorca zu kommen, so ist die Anreise heute sehr bequem, vorausgesetzt, es wird nicht gestreikt. Es waren nur noch wenige Tage bis zum Marathon in Palma de Mallorca und dann kamen diese Nachrichten: „Chaos auf Mallorca befürchtet – Fluglotsen in Deutschland wollen doch streiken.“ Zum Glück ist es aber nicht so weit gekommen und so zischt, zum Greifen nah, über uns der gelbe TUI-Flieger. Schade, leider war gerade der Akku der Kamera leer. An der Carrer Manuela de los Herreros kommt man den Bewohnern des Meeres nah wie sonst nirgends. Wir laufen am tiefsten Aquarium Europas vorbei.
Nix los uff de Gass
Wo sind sie denn, die ständig feiernden und andauernd betrunkenen deutschen Touristen, die ihren Mallorca-Kurz-Urlaub mit Feiern und Flirten am Ballermann verbringen? Es ist kurz nach 12:00 Uhr. Da sitzen welche, bei XXL-Schnitzel oder Riesencurrywurst. Wir stecken uns die mit viel Power gefüllten Fruchtgummis in der Geschmacksrichtung Lemon in den Mund. Aber auch der Geruch von Gambas in Knoblauchbutter kommt uns in die Nase, während wir die Bierstraße queren. Alles sieht aus wie eine verlassene Filmkulisse. Sonja Oberem ist auf ihren letzten Metern ins Ziel und wird auch dieses Jahr wieder gewinnen. Für uns ist bei Kilometer 30 der Wendepunkt erreicht. Bis zum Ballermann Nr. 6 führt uns die Strecke nicht mehr. Plötzlich, völlig unerwartet, ein Stimmungsnest!
Sie schlafen doch nicht!
Zahllose Urlauber schauen sich die stundenlang dauernde Prozession nun schon an. Überwiegend in deutsch sind die Anfeuerungsrufe. Drei Jungs, Chinesen mit Lederhosen, kariertem Oberhemd und Tiroler-Hut, verteilen Flugblätter. Werbung für das Oberbayern heute Abend.
Rechts Bettenburgen, links das Meer. Wir laufen am sechs Kilometer langen Strand von Palma. Die Laufstrecke ist hier mit einem Band abgesperrt. Jetzt, für ein paar Stunden, ist hier alles ganz anders. Hier trifft sich die exzessive Laufszene. Ich stelle mir vor, wie an den Verpflegungsstellen der rote, alkoholfreie isotonische Fruchtpunsch mit bunten Strohhalmen aus Eimern geschlürft wird.
Ein Mädchen reicht mir wieder eine Wasserflasche. Es sind sehr viele Helfer hier. Sozusagen ein Helfer für jeden Marathonläufer. Jetzt, bei Kilometer 34, versuche ich mich abzulenken. Wie damals empfinde ich wieder diese körperlichen Qualen. Jedoch herrscht heute kein Gegenwind. Was haben wir uns mit dem Rennrad durch die Gebirgsstraßen der Serra de Tramuntana gequält. Auf der schmalen, schlaglöchrigen und schlecht befestigten Straße zum Piratenturm am Cap Formentor gegen den Wind und der jäh hinabstürzenden Felswände getreten. Harte Oberschenkel und feuchte Hände. Der Ausblick raubte den letzten Atem. Nach jedem Trainingstag ließ ich mich in voller Montur auf das Hotelbett fallen, um Minuten später mit Laufschuhen am Strand die letzte Trainingseinheit für den Tag zu absolvieren. Dabei begann das Training schon vor dem Frühstück im kühlen Wasser. Der Pool dampfte, Athleten in schwarzen Neoprenanzügen auch. 50 – 100 Bahnen sollten es schon sein. Schließlich machten das alle hier. In so einem Triathleten-Boot-Camp will man mit einem Körper mit Schwimmertorso und Läuferbeinen, die zudem noch für das Radfahren optimiert wurden, nach Hause fahren. Da fragt man sich wirklich: „Sind Triathleten noch ganz dicht?“. Man könnte aber auch, wie bereits 2004 Astrid Benöhr, die Insel zu Fuß umrunden. Für die 359 Kilometer war sie 50 Stunden und 51 Minuten unterwegs.
Wir laufen immer noch am Meer
Die leicht salzige Brise des Mittelmeers steigt uns in die Nase, das Klima tut den Lungen gut und das blaue Meer den Augen. Man sagte uns am Morgen, die Wassertemperatur läge noch bei 26 Grad, ich kann es nicht lassen und muss meine Hand reinhalten. Schwupp, eine Welle und die Turnschuhe sind nass.
Kilometer 39 und das Gefühl vom Duft des Meeres in der Nase interessiert hier von den Läufern nun wohl fast niemanden mehr. Ich genieße es und ich genieße die Sonne.
Ob ich jemals nach Mallorca komme, nur um mal am Stand zu liegen? Die Kathedrale haben wir schon lange im Blick. Sie kommt näher und näher. Diese Strecke ist auch ideal für Inliner. Wo kann man schon 10 Kilometer immer am Stand entlanglaufen, ohne Sand in den Schuhen? Noch zwei Kilometer, gleich sind wir wieder zurück im Herzen Palmas.
Aus der Traum von der einsamen Insel
Aber wer will schon auf eine einsame Insel in so einem Moment: Zieleinlauf über den Paseo Maritímo. Palma bedeutet Siegespalme. Es ist 13:30 Uhr. Der Lauf ist bekanntermaßen keine schnelle Strecke. Selbst TOP-Läufer laufen hier nur zum Spaß. Es sind zu viele Gassen und es gibt zu viel zu sehen. Auch Athleten, die nach fünf Stunden ins Ziel kommen, wird applaudiert. Gewissermaßen ist Siesta auf der Insel und zwar bis um fünf. Hier im Zielbereich ist Stimmung.
Geduscht begeben wir uns auf die After-Race-Party und damit auch in eine lange Nacht am Ballermann. An jedem Tisch strahlt das Gelb des Finisher-Shirts wie die Sonne von Malle am heutigen Tag. Da sitzen wir also, inmitten einer Horde, ausgelassener Finisher im Megapark am Ballermann 6. Irgendwie bin ich hier so falsch, wie die Katzenberger beim Backpacking-Urlaub. Mit dem ersten Bier wird alles besser.
Ganz ehrlich, bis heute kannte ich ihn nicht. Aber als um 22:00 Uhr Mickie Krause die Bühne betritt und seinen aktuellen Hit „Schatzi, schenk mir ein Foto“ anstimmte, gab es bei den meisten hier in der Arena kein Halten mehr. Der 42 Jährige ist heute beim Halbmarathon mitgelaufen mit einer Zeit knapp über 1:30 Uhr. Den diesjährigen Berlin-Marathon ist er sogar in 3:15 Stunden gelaufen. Auch Ballermann-Stars können sportlich sein. Der „König von Mallorca“ stieg einst von seinem Thron, legte Krone und Mantel ab, um seinen ersten Marathon zu laufen. Dass er nicht trinkt und auch sonst eher gesund lebt, ist bekannt. Aber tut uns das jetzt eher leid, oder bewundern wir das? Mickie heizt den Läufern noch bis in die Morgenstunden ein.
Montag nach dem Marathon
Wir sitzen in Palmas ältester Bäckerei, „Forn des Teatre“, im Jugendstil-Ambiente von 1927. Zu einem Café bestellen wir uns Ensaimadas. Wir rollen die Schnecke auf, reißen sie in mundgerechte Stücke und tauchen sie in den Kaffee. Das Signalhorn eines Kreuzfahrtschiffes ertönt. Das Schiff verlässt den Hafen.
Wenn die Läufer die Insel wieder verlassen, dann wird es für ein paar Wochen so richtig ruhig auf der Insel. Aber schon bald bevölkern die Rennrad-Touristen das mallorquinische Trainingslager und dann dauert es auch nicht mehr lange, bis die Läufer sich wieder auf den „Prozessionsmarathon“ begeben.
„Die Balearen. In Wort und Bild geschildert“. 7 Bänden umfasste das 1869 erschienene Werk des Erzherzogs Ludwig Salvator. Er war „Weltenbummler“ und „Reiseschriftsteller.“ Heute wäre er bestimmt Autor bei m4y. Wie Salvator wollen wir euch Lust auf Mallorca und diesen Lauf machen und vielleicht können wir euch auch zum Trainieren motivieren?
Leider blieb keine Zeit für das Schreiben von Postkarten. Daher auf diesem Wege: Saludos aus Mallorca!
Marathonsieger
Männer
1 Dr. Dalkins, Mark (GBR) Bourne Sports 02:34:17
2 Zetterberg, Mikael (SWE) Goif Tjalve 02:34:26
3 DANMANI, TOUMI (MAR) Corre Caminos 02:37:50
Frauen
1 Oberem, Sonja (GER) Rhein-marathon-düss. 02:51:53
2 Södermark, Frida (SWE) Goif Tjalve 03:12:49
3 Maine, Gabriella (GBR) Porthcawl Runnerslif. 03:16:34
1194 Finisher