Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Leipziger Wintermarathon 2012

Rivalen der Rennbahn

 

Meistens dauert es nur ein paar Sekunden. Der Startschuss erschallt, die Boxenklappen gehen auf, Staub bildet sich auf der Rennbahn – und noch bevor man sich versieht, ist das Pferderennen auch schon wieder passé.

 

 

 

 

Gruppencheck

Unberechenbare Einzelaktionen der technisch hochbegabten Afrikaner gibt es hier nicht. Bei diesem Rennen handelt es sich um einen Teammarathon und die komplette Strecke muss als Dreier-Team bewältigt werden – gemeinsam als Marathon! Sollte der Abstand zwischen den Läufern beim jeweiligen Durchlaufen der Runde zu groß sein, gilt die Gruppe als getrennt und erscheint nicht mehr in der Gesamtwertung. Den Veranstaltern ist daran gelegen, dass die bewährte Kombination Sport plus Spaß nicht zu kurz kommt, und so stimmt die Mischung: Manch einer ist hier seine Marathonbestzeit gelaufen, aber auch Anfänger können sich von „Profis“ leiten lassen.

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„Guten Morgen!“ nicke ich noch müde anderen Läufern zu. Joe ist noch etwas zerknittert und Sabine wirkt angespannt. Im letzten Jahr war sie noch mit den „Wunderweibern“ unterwegs. In diesem Jahr hat sie sich auf das Abenteuer „Läuferbörse“ eingelassen. Nur wo sind die beiden anderen Mädels aus ihrem Team?

„Weib in Männerhosen“

Sagte Stalin über Clara Zetkin. Sie sei eigensinnig, radikal und autoritär. Wir laufen in dem Park der nach dieser Frauenrechtlerin (1857-1933) benannt ist. Wie wir erfahren, kommt es aufgrund von Bautätigkeiten zu einer Streckenänderung. Gut, wir kennen die Strecke vom Vorjahr nicht und so stört uns diese Änderung herzlich wenig. Ein Lauf-Chip ist nicht notwendig, denn die Rangordnung jeder Dreier-Herde ist ganz deutlich an der roten Startnummer zu erkennen. Die beiden anderen der Gruppe tragen eine schwarze Nummer. Dies erleichtert den Helfern das Registrieren der etwas mehr als acht Runden. Joe gibt uns eine Zielzeit von 4:11 Std. vor, vergisst dabei aber, dass ich die rote Startnummer trage und somit Rudelführerin bin. Für unsere Verhältnisse (fast) völlig untrainiert treten wir hier an und machen das Beste aus dem was wir (in den Beinen) haben und peilen eine realistischere Zielzeit von 4:29 Std. an.

Schon hat die Menge Aufstellung genommen. 43 Teams im ersten Jahr, 71 Teams im Zweiten und heute, bei der dritten Veranstaltung im Regen sind 84 Teams am Start. Marathon4you ist mit vier Teams angereist:
Marathon4you/01: Klaus Duwe, Angelika Abel, Eberhard Ostertag
Marathon4you/02: Andrea Helmuth, Kay Spamer, Joe Kelbel
Marathon4you/03: Anton Lautner, Klaus Sobirey, Daniel Steiner
Marathon4you/04: Bernie Manhard, Wolfgang Bernath, Klaus Klein

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Klaus hat für dieses Jahr eine neue Strategie: Sicherte er im letzten Jahr die Strecke nach hinten ab, so verteilt er heute all seine Rennpferde geschickt im Feld. Seine schnellsten Pferde sollen einen Podestplatz erreichen – so die Strategie. Auch wenn Klaus Selbstvertrauen in geregelten Dosen verabreicht, steht damit das Team gehörig unter Druck. Zu Beginn jeder Trainingseinheit sollte das Pferd „10 bis 15 Minuten im Schritt am langen Zügel gehen“, was zur Entspannung und zum Erwärmen der Muskeln und Gelenke dient. Nach 5 Kilometern haben wir schon eine Durchgangszeit von 28 Minuten.

Nur wer kühn genug träumt, der kann was erleben

Wenn ich schon „behütet“ an den Start gehe, dann ist Pferderennen oder es regnet. Sachsen ist heute wahrscheinlich nicht der einzige Flecken, dessen Klima britischem Wetter ansatzweise nahekommt. Es ist nass, kalt und klamm. Was noch fehlt? Wind! Früh genug erwischt es uns in voller Breitseite. Wir alle haben schon lange das Idealgewicht der Jockeys überschritten und in Joe´s Windschatten kann ich kräfteschonend laufen. Er fräst sich seinen Weg durch den Matsch und durch Pfützen. Teamlaufen – für Kay und mich kein Problem, darauf sind wir seit Jahren gut trainiert. Aber zu dritt? Ist Drei nicht einer zu viel? Doch kreisen die Gedanken um die beruhigende Gewissheit, dass es auf dieser Welt nichts gibt, was nicht zusammenpasst. Nach einer Formbeurteilung der letzten drei Rennen und Expertenmeinung teilt Klaus seine Gruppen ein. Vielleicht hat einer einen schlechten Tag oder lahmt. Aber Klaus hat seine Rennpferde richtig klassifiziert.

Der erhabene Gang, der elegant gebogene Hals, das prächtige Langhaar. Der Körper dennoch grazil, gleichzeitig gut bemuskelt. Nein, die Rede ist nicht von dem Typ da vorne, sondern vom Wüstenfuchs. Ständige Rufe von Zuschauern oder Läufer an Joe. Er ist hier das, was man im Showbiz einen Superstar nennen würde. So langsam kommen wir in Trab. Eine schnelle Zweitaktgangart, bei der jeweils das diagonale Beinpaar gemeinsam vorgeschwungen wird. Vor jeder Bodenberührung erleben wir eine kurze Schwebephase.

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Zugeben wollten sie es nicht. Aber geärgert hat es sie schon, als wir die Pipi-Pause von Wolfgang, Bernie und Klaus nutzen um aufzuschließen. Jetzt müssen sie sich etwas einfallen lassen. Wolfgang verwickelt mich in ein Gespräch und Klaus zieht das Tempo langsam aber stetig an. Doch wir bleiben dran. Dann sagt Bernie, er habe einen Hänger und zieht davon. Wolfgang wird wortkarg und verschwindet ebenfalls. Es dauert nicht lange und wir sehen die drei nicht mehr. Einige hundert Pferdelängen vom Ort der Siegerehrung entfernt tauchen sie wieder auf. Erneut gibt uns ihre Pipipause die Chance zum Aufholen. Jedoch zum letzten Mal. „Die eleganteste und klügste Art, einen Konkurrenten zu besiegen, ist, ihn in dem zu bewundern, worin er besser ist.“ (P. Altenberg, österr. Schriftsteller). Gedanklich bin ich nun auf die Mannschaft von Klaus fixiert, irgendwann so hoffe ich, werden wir sie doch noch einholen?

Es geht in die nächste Runde. Vorbei am Startplatz auf die Anton-Bruckner-Allee. Weiter auf die Karl-Tauchnitz-Strasse, scharf rechts auf die Straße Rennbahnweg. Ich laufe und versuche, die Gegenwart zu ignorieren, um einfach mal in die Vergangenheit abzutauchen. Man stelle sich vor: Pferdekutschen, die über Kopfsteinpflaster holpern, der Geruch von warmem, dampfenden Stroh. Über der alten Rennbahn von Leipzig schwebt ein Hauch von Ascot. Ihre heutige Gestalt erhielt die Rennbahn 1906/07, als die hölzerne Tribüne im Zusammenhang mit der Erweiterung der Anlage durch einen 288.000 Mark teuren Neubau ersetzt wurde. Viel hat sich seit dem an dem historischen Bauwerk getan. Kaum ein Tourist verirrt sich noch auf die alte Zuschauertribüne. Am 1. Mai 2012 wird die mit über 2 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II renovierte Tribüne eingeweiht – die Größe von einst immer noch spürbar.

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Wie das Traben eines Belgischen Kaltbluts höre ich Joe neben mir bevor mich der 80er-Jahre-Sound gedanklich aus den 20ern zurückholt. Ich versuche den Takt des Beats aufzunehmen. Uns tritt der Geruch von Bratwurst in die Nase. Gleich ist auch diese Runde geschafft. Meine Kappe hält das nasse Haar und den Zopf zurück und gleichzeitig die Ohren warm. Mit rotgefrorenen Fingern greife ich zu dem Plastikbecher mit warmen Tee, der uns von netten Helfern hingereicht wird. Joe bevorzugt Isoschleim und Kay die Cola. Meine beiden Männer können sich angesichts der angebotenen Speisen und Getränke kaum losreisen, aber ich mache Druck und laufe voran.

Die Strecke versinkt immer mehr im Matsch

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Der Lauf gleicht einem Hindernisrennen. Immer wieder laufen wir um die immer größer werdenden Pfützen und dem rutschigen Schlamm. Über so etwas kann man einfach nur staunen: Mit einem großen Besen säubert ein Helfer die vom Regen und Schweiß immer glitschiger werdende Strecke. Danke! Endlich tauchen die knallorangefarbenen Jacken von Team Marathon4you/01 auf. Da fehlt doch jemand, stelle ich verwundert fest. Wir erfahren, dass ein Gaul lahmte und aus dem Rennen genommen werden musste. Durch das Ausscheiden des Teammitglieds fällt das Team nun leider aus der Wertung. Angelika und Eberhard laufen trotzdem weiter. Denn jeder, der das Ziel erreicht bekommt eine Urkunde mit der Laufzeit. Nur eine Rangliste für Einzelläufer gibt es nicht.

Schwerer, dicker griesgrämiger 1A-Schnee-Regen

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Im Schritt setzt das Pferd gemütlich einen Huf vor den anderen. So bewegen sich Pferde am liebsten – auch in der freien Wildbahn. Schneller werden sie erst, wenn es unbedingt sein muss. Es muss. So gehen die ersten Rennrunden gleichmäßig dahin, in einer mal ent- oder angespannten Stimmung, bei aller Nostalgie frei von jedweder Sentimentalität. Musik! Musik? Die, die Lethargie beendet, klingt von weitem zu uns. Musik als Spektakel, früher im Keller, heute ein Geheimtipp. Der Marathon als gängiges und probates Mittel sich auszuprobieren. Wie wir später erfahren, spielt der Professor Wolfgang S. Wittig, Direktor des Forschungsinstituts für Informations-Technologien und Finisher von mehr als 100 Marathon- und Ultraläufen zwar nicht die Geige, aber in jeder Runde ein anderes Instrument und nicht nur er, sondern auch wir haben Spaß daran. Als er jedoch in der letzten Runde das Saxophon auspackt, legen wir wie von selbst noch einen Gang zu. Dabei überholen wir auch Läufer die nicht Laufen, sondern Joggen. Im Westernreiten nennt man einen sehr langsamen, mit kurzen Schritten ohne Schwebephase ausgeübten, ausdauernd zu reitenden Trab, den Jog. Dieser ist im praktischen Westernreiten besonders wichtig, da er dem Tempo einer getriebenen Rinderherde entspricht. Der klitzekleine Hügel hinauf zur Brücke über das Elsterflutbett tut dem Körper gut. Auf dem Elsterflutbett sind zähe Paddler unterwegs. Hier ist eine beliebte Einsatzstelle für eigene Boote.

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Da tauchen die ersten Läufer auf und wir sind überrundet. Die Läufer dieser Spitzengruppe sind jung und etwa alle gleichen Alters. Einige von ihnen sind so erschöpft, dass unter der Maske aus Schlamm und Schweiß eine verzerrte Miene zum Vorschein kommt. Aber auch hier gibt es keine Gefühlswallungen. Für uns heißt es vom Konkurrenten lernen. Das Leben ist kein Ponyhof. Noch eine halbe Runde. Jetzt bloß im Schritt – oder besser: im Galopp – bleiben, damit uns nicht Gruppe Marathon4you/03 überrundet. Denn im Gegensatz zu uns, beherrschen sie die hohe Schule der Reitkunst. Sie traben mit einer verlängerten Schwebephase und akzentuiert gehobenen Beinen.

Der Regen hat nachgelassen. Es geht auf drei Uhr zu. Vier Stunden auf der Strecke und noch ungefähr ein Kilometer vor uns. Auf dem letzten Kilometer begegnet uns Team „Marathon4you/04“. „Erbarme – zu spät, die Hesse komme“ können wir von ihren Gesichtern ablesen. Beim Gruppenfinale mobilisieren auch sie die letzten Reserven und retten sich mit gut 3 Minuten Vorsprung hinter die Ziellinie.

Der Galopp ist die schnellste Fortbewegungsart eines Pferdes. Dabei „springt“ das Pferd geradezu nach vorn und bleibt sogar einen Moment mit allen vier Beinen in der Luft. Das ist die sogenannte Schwebephase. Bei einem Rennen 1945 in New Mexiko erreichte das schnellste Pferd eine Geschwindigkeit von 69,6 km/h. So schnell sind wir nicht beim Zieleinlauf, jedoch kommt Bewegung in die Leute. Rufe gehen von Läufer zu Läufer. Zuschauer, die sich im Zielbereich befinden springen auf, Frauen reißen ihre Kleinkinder an sich und stürzen davon. Alles ist Geschrei, schlagende Hufe, ein aufgeregter Moderator, Bernd Sehmisch, ruft über das Mikrofon in die Menschenmasse, das nun auch die kleine Frau von Marathon4you das Ziel erreicht hätte. Aber ist das ein Wunder, mit diesen zwei Rassehengsten an meiner Seite?

Wärme wirkt Wunder. Bei 95 Grad in der Sauna schmilzt jedes Kältegefühl dahin und mit den Schweißperlen, die gemächlich den Körper hinunterrinnen, verflüchtigt sich auch das letzte bisschen Stress des letzten Kilometers. Andere Mädels in der Umkleide freuen sich auf absolute Entspannung und die wohlverdiente Lockerung der Muskeln bei der angebotenen Massage. Hier wird dafür gesorgt, dass wir uns im Handumdrehen wieder frisch fühlen, damit wir alle weiter energisch durchstarten können. Nichts was es hier nicht gibt und das alles unter einem Dach.

Auch wenn auf die richtige Gruppe gewettet wurde, Preisgeld wird hier nicht gezahlt. Aber in Naturalien. Laut jubelnd holen wir unseren Gewinn ab – und setzen ihn gleich um: Eine Torte! Die Siegerehrung findet in der gemütlichen Turnhalle statt. Prämiert wird unter dem Jubel der Teilnehmer das Siegerteam, die Fahrradkuriere. Wir haben in der hintersten Reihe die Festzeltgarnitur zu unserer VIP-Lounge erklärt, in der jetzt auch der Sekt entkorkt ist. Wir feiern Daniels 100sten Marathon.

Ergebnis Team:
Marathon4you/03: Anton Lautner, Klaus Sobirey, Daniel Steiner 03:54:10 Wertung Männer Platz 24 von 45
Marathon4you/04: Bernie Manhard, Wolfgang Bernath, Klaus Klein 04:03:23 Wertung Männer Platz 33 von 45
Marathon4you/02: Andrea Helmuth, Kay Spamer, Joe Kelbel 04:07:34 Wertung Mixed Platz 10 von 22
Marathon4you/01: Klaus Duwe, Angelika Abel, Eberhard Ostertag 04:56:17