Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Lake Garda Marathon 2012

„Ciao, i sono Andrea“

 

Laut trällert Adriano Celentano „Azzuro“ aus dem Radio eines Cabrios, die andersartige und bei uns verbotene Hupe eines Autofahrers wird durch die Hupe eines anderen Autofahrers erwidert. Ein lautes kurzes Zischen, es ist nur ein Bus der Druckluft ablässt. Arbeiter knattern mit ihren stinkenden Nutzfahrzeugen auf zwei Rädern die Straße entlang. Junge Frauen, die elegant auf ihren Italo-Rollern vorbeifahren und denen ein junger Straßencasanova hinterherpfeift.

 

 

 

Situationen des bekannten italienischen Stils und eine Art italienischen Wohlklanges. Denn es ist dieser ganz bestimmte Sound, der für das anrührend nostalgische Gefühl beim Gardasee-Besucher sorgt, wie eine Rückkehr in die Jugend. Es ist halt so, wie es früher schon war. Erinnerungen werden wach an das süße Leben Italiens.

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Die 70er Jahre

Erste Begegnung mit mediterraner Landschaft und Mentalität. Der nördliche alpine Charakter korrespondiert mit südlichem Mittelmeer-Charme. Mit Campingurlaub in Italien lag man im Trend (allein rund um den Gardasee gibt es über 130 Campinganlagen mit über 72.000 Stellplätzen) und mein „Fan-T-Shirt“ vom Camping dei Fiori (ich glaube, da war ich 12 Jahre) habe ich übrigens immer noch. Wenige Jahre später fuhr man nicht mehr nach Italien, denn das italienische Lebensgefühl konnte man auch vor der Haustüre haben. Die italienischen Mütter und Väter haben ihre hübschen Söhne mit nach Deutschland gebracht, sowie Pizza und Pasta. Man traf sich in den Gelaterias (Eisdielen) mit Namen wie: San Remo oder Venezia.

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Anfang der 80er. Es war die Zeit der Popper mit passendem Haarschnitt und Karottenhosen. Sie hatten einen extrem hohen Bund und nach unten konisch zulaufende Hosenbeine, dazu trug man College-Schuhe. Ich bekam mein erstes Mofa. „Schmale Taille, breiter Hintern – sieht aus wie eine Wespe“ so wurden die drallen Reize des italienischen Piaggio Vespa Rollers beschrieben.

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Allein diese Beschreibung löste so etwas aus wie: „Will ich haben!“ Was dann kam, war ein Franzose. Lange habe ich mich für meine Velo Solex geschämt. Sie war dunkelblau und grottenlangsam. Neidisch schaute ich auf die Mofas und Vespas meiner Mitschüler. Aber, sie war unschlagbar günstig im Unterhalt und dazu ein ideales Sportgerät. Etwa zweieinhalb Liter Benzingemisch langten für 100 Kilometer und das Beste, wenn ich mitgetreten habe sogar noch länger, oder wie der Italiener sagen würde: „La costanza sempre avanza.“Mit Ausdauer kommt man immer vorwärts.

Frankfurt am Main versinkt im Grau

Der Römerberg, der Springbrunnen davor, die Startbahn West, der Himmel – alles grau. Es nieselt, und nichts erinnert an diesem Ort an einen goldenen Oktober. Auf dem Eisernen Steg mag sich heute keiner fotografieren lassen. Touristen huschen schnell darüber. Tropfend hängen die Vorhängeschlösser der Verliebten am Brückengeländer. Der Sommer war einfach zu kalt, zu nass, zu kurz. Sehnsucht macht sich breit nach ein paar Sonnenstrahlen. Und: wir sind neugierig, neugierig zu erfahren, wie es ist auf einer der dichtbevölkerten und dazu auf einer von zwei der verkehrsreichsten Staatsstraßen Italiens einen Marathon zu laufen. Wo sich an Sommertagen Familien-Vans und vollgestopfte Kombis, Wohnwagengespanne, Pulks von Motorradfahrern auf der Straße stauen.

„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?“

Nach einer regennassen Fahrt sind wir Stunden später am Lago di Garda angekommen. Ähnlich muss es J. W. Gothe 1786 ergangen sein. Nach einer stürmischen Überfahrt mit Nordwind, setzte er mit dem Schiff von Torbole nach Malcesine über und auf der anderen Seeseite erblickte er die Zitronenplantagen von Limone. „Wir fuhren bei Limone vorbei, dessen Berggärten, terrassenweise angelegt und mit Zitronenbäumen bepflanzt, ein reiches und reinliches Ansehen geben.“ Der Dichter schrieb dies in sein Tagebuch.

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Von der blühenden Vergangenheit der Zitronen in Limone sind nur noch die Pfeiler und Mauern geblieben. Im alten Ortskern erstreckt sich über mehrere Terrassen das Zitronengewächshaus, eine Art Zitronenmuseum. Mit Zitronen wird aber auch heute noch gehandelt: mal als saure Frucht auf einer Wandkachel, mal auf T-Shirts, Handtüchern, Postkarten. Was hier im Glas gelb schimmert ist nicht die Sonne, sondern der Limoncello (Zitronenlikör). Das nennt man dann Marketing. Ursprünglich kommt der Name Limone nicht von den Zitronen, sondern von dem lateinischen Wort „Limes“ – zu Deutsch: Grenze – denn in dem Dorf verlief lange Zeit die Grenze zwischen Österreich und Italien.

„Ciao, i sono Andrea”

„Ciao, i sono Andrea” sage ich. Was folgt ist ein bedeutungsvolles Lächeln an der Startnummernausgabe. Das italienische Gesetz verbietet den Vornamen Andrea für Mädchen. Dieser Vorname ist ausnahmslos männlichen Nachkommen vorbehalten. Ehe ich mich versehe, bekomme ich eine neue Startnummer. So wurde aus der Startnummer 367 nun eine F145! Mit einem gelben Sack (zur Kleideraufbewahrung) bekommen wir Kabelbinder (zum Zusammenbinden des besagten gelben Sackes) und einen Aufkleber mit der Startnummer (zum Aufkleben auf den gelben Sack).

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Ein weißes Plastikarmband weist uns für die nächsten zwei Tage als Marathonläufer aus und berechtigt auf den Fähren unbegrenzte Überfahrterlaubnis zum Beispiel nach Malcesine oder Riva. Unbedingt beachten sollte man jedoch, durch Vorzeigen des Armbandes einen offiziellen Fahrschein an der Fährstation zu besorgen. Wenn nicht, heißt dies, Fahrkarte besorgen und hinten anstellen. Nach dem wir nun dies Prozedere hinter uns haben, sitzen wir auf der Fähre nach Malcesine. Wir wollen uns das morgige Ziel anschauen und vom Gipfel des 2200 hohen Monte Baldo ein paar Fotos des Gardasees aus der Vogelperspektive schießen. Für 20 EUR lösen wir das Seilbahnticket. Im Preis ist der Eintritt in die Burg von Malcesine inbegriffen. Von dort hat man einen schönen Blick auf den ganzen oberen Gardasee.

Buona Domenica

Schöner Sonntag. Auf dem Frühstücksbuffet liegen Panini, Cornetti und die italienische Nussnugatcreme. Die Baristi schenken uns duftenden und dampfenden Kaffee ein. Früh am Morgen liegt er da, wie eine Marmorplatte, gesäumt von hohen Bergen. Nur wenn die Wolken eine Lücke bilden, dann glänzt der Lago di Garda in der milden Herbstsonne.

Die ersten Fähren werfen Wellen, bei der Überquerung aus Riva oder Malcesine. Sie sind voll besetzt denn jeder möchte zum Start nach Limone. Wer die Wahl hat, hat die Qual, denn man muss sich entscheiden, in welchem Ort man übernachten möchte: am Start (Limone) oder am Ziel (Malcesine).

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Zwischen den etwa 2200 Läufern am Start steht auch Raffaele, er verpasst seinen Einsatz nicht. Dafür sorgt Giuseppe, er gibt seinem Freund ein Zeichen, Raffaele nickt, keine Minute später sind die beiden aus dem Sichtfeld verschwunden – es ist 9:31 Uhr. Mit uns sind über 300 deutsche Läufer auf der Strecke. Darunter auch der Leipziger Thomas Voland. Er startet aus der ersten Reihe und das aus gutem Grund. 2011 gewann er auf der 15-Kilometerstrecke und der Veranstalter, Stefano Ballardini, lud ihn daraufhin für dieses Jahr wieder ein. Thomas wollte in diesem Jahr aber nicht die 15 Kilometer laufen, auch nicht die erstmals angebotenen 30 Kilometer, nein er ist hier um den Marathon zu laufen.

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Ganz sicher ist auf jeden Fall, dass der gebürtige Frankfurter namens Goethe nicht an den Lago gekommen war, um in Torbole zu Kiten, dass Freeclimbing in Arco auszuprobieren oder gar hier einen Marathon zu laufen. Zumal es damals noch gar keine Straße gab, auf der man hätte laufen können. Denn bis 1932 war Limone noch ein Fischerdorf und abgeschnitten von der Außenwelt; einzig über den Seeweg erreichbar.

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Regelrecht übereinander geschachtelt kleben die Häuser am Felsen. Die Dächer terrakottafarben Ton in Ton, steinerne Kaskade der Häuser, seit Jahrhunderten unverändert. Da stößt der Ort, besonders im Sommer, schon mal an seine Kapazitätsgrenzen. Wer sich fragt, ob es jemals einen Moment gibt, den Gardasee fast ungestört zu genießen, dem kann ich antworten: Ja! HEUTE! Kein Urlauber ist begeistert, wenn er durch das Treiben auf der Straße aus dem Schlaf gerissen wird.

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Wir stören heute jedoch nur wenige Touristen. Nicht nur weil sich die Saison am Gardasee dem Ende zuneigt, auch weil die schmale Uferstraße von Limone nach Malcesine für den Verkehr vollkommen gesperrt ist.

„La costanza sempre avanza“

„Mit Ausdauer kommt man immer vorwärts“. Die zuvor tolle Aussicht auf den See weicht immer wieder dem Tunnelblick. Weltweit als Meisterwerk der Straßenbaukunst bewundert wurde die Gardesana mit ihren 75 Tunnels und Galerien.

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Während andere Kilometer um Kilometer des Marathons nach unten zählen, habe ich mir sozusagen ein Tunnelprojekt gestellt. Ich versuche Tunnel um Tunnel, Röhre um Röhre, vom kleinsten bis zum größten, nach oben zu zählen. Der erste Kilometer ist laut. Rhythmisch lassen die Motorradfahrer neben uns ihre Maschinen aufheulen, im Tunnel verschärfen sich Lärm und Gestank. Die Strecke beginnt leicht fallend und bei Kilometer drei ist bereits der Tunnel Nr. 8 erreicht. Die störenden Motorräder von eben sind längst vorbei. Immer wieder wird man entlang der Straße mit Gedenktafeln an die Toten erinnert, die dieser Straße zum Opfer gefallen sind. Fährt man mit dem Auto oder Motorrad vorbei, nimmt man diese normalerweise nicht wahr.

Arrivederci Riviera dei Limoni

Heißt es bereits bei Kilometer 10. Weiter durch Tunnel Nr. 12, 13, 14. Ich freue mich schon auf den Überraschungseffekt am Ende des Tunnels. Was passiert? Genau! Es folgt Tunnel Nr. 15. Dieser misst 960 Meter, drinnen ist es schwül.

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Das Schnaufen der Mitläufer hallt doppelt laut. Leuchtreflektoren an den Hosennähten oder Shirts der Läufer vor uns schimmern grell, besonders dann, wenn Kay mit Blitzlicht fotografiert. Notausgänge wechseln mit SOS Säulen ab. Der Asphalt unter unseren Füßen ist gespickt mit ausgespuckten Kaugummis.

„Dangerous Man“

Fahrzeugabgase liegen heute keine in der Luft, eher eine andere Art der Geruchsbelästigung. Da ist die dynamisch-würzige Note, welche die Sportlichkeit und das Sex-Appeal manches Läufers unterstreichen soll. Nach Sonnenöl riecht heute niemand, der Duft kommt auch nicht von den Limonenbäumen an denen wir immer wieder vorbei laufen, vielmehr von den unterschiedlichen Duftwässerchen der Marathonis, welche sich nun Kilometer um Kilometer weiter entwickeln. Denn mit der Wärme der Körpertemperatur und der Außentemperatur steigt auch das Odeur aus Schweiß, ebenso wie nach einem sechswöchigen Abenteuertrekking. So ein „Dangerous Man“ zieht gerade an mir vorbei und hinterlässt dabei eine Spur von Muskatnuss, Bergamotte und Schweiß.

Kürzlich bekam ich den Tipp zum Neutralisieren der Nase zwischen zwei Düften. Man muss einfach kurz in die eigene Armbeuge riechen. Damit würde sich der eigene Geruchssinn wieder einstellen und man ist wieder voll empfänglich für das nächste Läuferodeur. Auch wir Frauen betören unser Umfeld gerne mit Düften, die so klangvolle Namen tragen wie: „Women Summer 2012“, „Eternity Summer for Women“, oder „OPIUM“. Wobei letzteres beim Sport eher nach Schweißperlen auf Schlagsahne duftet. Nun kurz in die Armbeuge gerochen und ich bin wieder voll duftaufnahmefähig für die nächsten Kilometer.

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Tunnel Nr. 16 und noch 4 Kilometer bis Riva. Nr. 17, 18,19. Bei dem fast einen Kilometer langen Tunnel Nr. 20 queren wir den Gebirgsbach Ponale, der in den Gardasee fließt. Der Tunnel endet wie ein Gerippe eines Wahlfisches und wir sind mittendrin. Nur kurz erhaschen wir ein paar Sonnenstrahlen, bevor wir in die Tunnelröhre Nr. 21 laufen. Dieser Durchgang verschafft uns einen über 1041 Meter weiten Tunnelblick. Feuerlöscher, Notausgang, weißer Mittelstreifen.

Kilometer 9 ist erreicht. Es wird heller und die Strecke führt leicht bergab. Am Ausgang des Tunnels steht ein schwarzer Corsa mit Kassler Nummernschild, der Fahrer dieses Fahrzeuges diskutiert lebhaft mit den Carabinieri. Am Ortsschild Riva erfahren wir, dass die Hessische Stadt Bensheim mit Riva verschwistert ist.

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Wasser schwappt träge an die Hafenmauer

Das zwischen die Felsen gequetschte, schattige Städtchen Riva ist bei Kilometer 10 erreicht. Ein Eldorado für Mountainbiker und Kletterer. Lange stand der Ort unter österreichischer Herrschaft und die Tiroler Bodenständigkeit weichte erst 1919 dem italienischen Flair. Riva ist mit über 13000 Einwohnern der zweitgrößte Ort am Lago. Hier erleben wir auch das erste Stimmungsnest seit unserem Start.

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Die Laufstrecke führt mitten durch die Stadt. Wie schon immer, die Restaurants und Cafés mit den kleinen Tischen sind geblieben. Die Lokale unterscheiden sich nur durch andersfarbige Tischdecken, mal in grün, mal in lila oder klassisch italienisch in rotweiß kariert. Dazwischen immer wieder das italienische Designer-Duo Dolce&Gabbana in Form von Gürteln und Taschen.

„Vivere e lasciar vivere.“

„Leben und leben lassen.“ Der Duft von Zypressen oder Zitronen strömt aus einem Seifen-Laden an der Ecke zu uns auf die Straße. Eine Busladung „Discount“-Reisender schlendert verdutzt über die Laufstrecke. Sie sind auf dem Weg zur Fähre nach Malcesine oder Limone. Die zweite Getränke-Abholstation mit 0,5 Liter PET Flaschen zum Mitnehmen ist erreicht. Weiter führt uns der Weg an der palmengesäumten Uferpromenade vorbei an der Burg mit seinem Wassergraben und der schönen Parkanlage.

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Bei einem Eis genießen italienische Familien mit ihren Bambini den Spaziergang rund um die Piazza 3 Novembre. Pärchen schlendern händchenhaltend an uns vorbei. Tatsächlich spürt man hier so was wie eine königlich geprägte Vergangenheit. Wir überqueren zwei, drei kleine Holzbrückchen.

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Von hier sind die bestimmt 50 winzigen Segelboote besonders gut zu erkennen. Die weißen Segel wehen nicht, es geht kein Wind und so sehen die kleinen Boote aus, als seien sie künstlich in den See gesetzt, wie Modellboote ohne Batterie.

Wir laufen genüsslich durch den Park, genießen die Atmosphäre und die warmen Sonnenstrahlen. Das Einzige was hier nicht in die Parkidylle passt, sind meine drückenden Einlagen in den Laufschuhen. Aber wenn interessiert das hier schon. Den Hafen der blauweißen Segelboote verlassen wir bei Kilometer 12.

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Italienischer Straßenfeger

Christian aus Aachen und tätig in Brüssel schließt sich uns an. Er läuft bereits zum sechsten Mal diesen Marathon und nur diesen! Am „Lido di Arco“ erfolgt die Streckenteilung, denn erstmals wird eine 30 Kilometerstrecke angeboten. So heißt es für die Läufer mit der andersfarbigen Startnummer rechts ab nach Torbole. Das Kilometerschild 17 haben wir passiert. Die Burg von Arco, die dem Grafen von Arco gehörte, liegt in Sichtweite vor uns. Sie wurde einst wegen ihrer unerreichbaren Lage streng belagert, kapitulierte später wegen Hungers.

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Hier beginnt unser Sightseeing Programm des Hinterlandes. Immer mehr Olivenhaine tauchen auf, das Olivenöl „extravergine“ bekommt man hier in kleinen Mengen. Und dort, wo der Valle del Sarca auf den Gardasee trifft, kann man noch den Wein aus Eigenanbau kosten.

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Laufend besichtigen wir den Weinanbau im milden Sarcatal. Bereits nach drei weiteren gelaufenen Kilometern erreichen wir schon die Altstadt von Arco.

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In Arco hängt man ab

Denn was Kitzbühel für Abfahrtsläufer, Wimbledon für Tennisspieler oder Hawaii für Triathleten, ist Arco für Kletterer – und das schon seit 25 Jahren.

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Der österreichische Kaiser Arco hatte die Stadt einst aufgrund seines milden Klimas zu seinem Wintersitz erklärt. Natürlich zog dies nach und nach immer mehr Wohlhabende aus der ganzen Monarchie in das winzige Städtchen, darunter auch Sissi (Kaiserin Elisabeth).

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Noch heute sieht man die aufwändige Villen, Gärten und Promenaden. Kleine schmale Gassen, schwere Terrakottakübel vor den Häusern, alte Laternen beugen sich über Kopfsteinpflaster. Dort sitzen einige gemütlich und genießen den „Aperol“, einen Kräuterlikör.

Valle del Sarca

Ich erfahre, dass das Gebiet, in dem wir nun laufen, und durch das die 11 km lange Fahrradpiste des Valle del Sarca führt, wohl zu den eindrucksvollsten des ganzen Trentino gehören soll.

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Wir folgen auf einem Teilstück diesem Radweg am Damm des Flusses. Dieser verbindet die Ortschaften Torbole und Riva del Garda. Bei 21,1 Kilometer wird unsere Halbmarathon-Durchgangszeit elektronisch festgehalten. Voll gefederte und sauber geputzte, chromblinkende Carbonschnittchen stehen vor dem Kult(Radler)treffpunkt „Meckis“ Bar. Kurz darauf überqueren wir die Sarca. Am Horizont haben sich ein paar träge tiefdunkle Wolken versammelt. Ganz leicht und angenehm geht es abwärts. Weder Antonio Vivaldi noch Guiseppe Verdi, auch kein Eros Ramazzotti klingen zu uns herüber. Karibische Trommelklänge statt Italo-Schmachtfezen auf der Durchgangsstraße von Torbole.

Steife Brise in Torbole

„Rip Curl“, „Billabong“, „O´Neill“ vor Jahren war das hier ein echter Geheimtipp und ich habe viel Geld in den hiesigen Surfshops gelassen. Auf einmal schlägt mir das Kilometerschild 27 regelrecht entgegen: wo sind die letzten Kilometer geblieben? Kay und sein Vater sind sicherlich nicht ganz unbeteiligt am Boom des Windsurfens Mitte der 70er Jahre. Fast geräuschlos glitten sie auf ihren „Mistral“ Brettern und den Segeln im 70er Jahre Look über diesen und andere Seen. Je heftiger der Wind blies, desto besser. Jetzt verflucht Kay den berühmten Gardasee-Fön, denn anders als beim Surfen, bläst der „Orca“ genannte Wind jetzt gegen uns und zu allem Übel fängt es auch noch an zu regnen.

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Wir sind mittendrin, in der dritten Jahreszeit von Vivaldi. Die asphaltierte zweispurige Straße glänzt nass. Niemand parkt heute am Straßenrand. Dank des Tunnels Nr. 23 lassen wir uns die Laune nicht verderben. In Tunnel Nr. 24 zieht es heftig und die nasse Kleidung klebt am Körper und entzieht in erschreckendem Tempo die Körperwärme.

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Das ist nicht zu unterschätzen, denn wir haben noch 12 Kilometer zu laufen. Wieder folgt Tunnel (25) auf Tunnel (26). Ein Schild sagt uns, dass wir am Ende des Trentino angelangt sind.

„Stand up paddling very trendy new sport!“

Mit dem Tunnel Nr. 28 sind 34 Kilometer gelaufen und der letzte Durchgang ist erreicht, wenn ich mich nicht verzählt habe.

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Jedenfalls haben wir den starken Regen dank der Tunnels im wahrsten Sinne des Wortes gut überbrückt, denn es nieselt nur noch leicht. Immerhin kommt nun kein Nass mehr vom Himmel und 36 Kilometer des Seerundlaufes liegen hinter uns.

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Auf der anderen Seeseite, aber auf gleicher Höhe, befindet sich Limone. Nebel liegt über den Zitronen. „Stand up paddling very trendy new sport!“ Surfschulen bieten an Plakaten ihre Dienste an. Eine grüne Wiese am See, jedoch zum Sonnenbaden ungeeignet, denn hier landen die Paraglider nachdem sie sich von den steilen Felswänden des 2200 Meter hohen Monte Baldo in die Lüfte gestürzt haben. Es folgt Kilometer 38 und ein Kieselstrand. Im Lago liegt ein Katamaran vor Anker, vor uns die mächtige Skaligerburg von Malcesine.

„Riviera degli Olivi“

Der„botanischen Garten Europas“ ist bei Kilometer 40 erreicht und damit auch fast das Ziel auf dem Marktplatz von Malcesine. Die Carabinieri sind friedlich gestimmt und Kay trifft beim Fotografieren nicht das gleich Schicksal wie 1786 Goethe. Begeistert wie er war, also Goethe, zeichnete der die Skaligerburg und wurde wegen Spionageverdachts kurzzeitig festgenommen.

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Sozusagen als Wiedergutmachung hat man ihm heute eine Büste und eine Gedenktafel, die am Hotel San Marco in unmittelbarer Nähe zum Hafen angebracht ist, gewidmet. Der letzte Kilometer liegt vor uns. Bei schwülen 18 Grad bleibt einem fast die Luft weg. Von der Gardesana laufen wir nun nur noch um die Barockkirche Santo Stefano. Und wo gestern noch Markttag war, trägt uns heute Applaus über den roten Teppich am Fuße des Monte Baldo. Das Ziel des Lago di Garda Marathon ist erreicht. „Per niente non si fa niente.“„Für nichts tut man nichts.“ Bambinis freuen sich auf ihren Papa und die Mamas über den Einkauf in Verona und wir über die Medaille im Ziel. Vergessen sind die letzten Stunden. Die letzte Mühe ist verschwunden hinter dem letzten Tunnel.

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Viele stapfen zur nahegelegenen Schulturnhalle zu den wenigen (wie ich hörte, aber warmen) Duschen. Manch einer humpelt vielleicht zurück hinter die Gardinen seines mächtigen Wohnmobils und schaut deutsches TV, ein anderer kehrt zurück in sein Hotel oder nutzt die ruhige Stunde und sucht auf dem Pad seinen Namen in der Ergebnisliste. Man sitzt in den Restaurants oder Cafés beisammen, isst Pizza oder Gelati.

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Schiffspassage

Nur ein paar hundert Meter vom Ziel entfernt ist der Fähranleger. Laut erdröhnt das Schiffshorn zur Abfahrt. Es ist leider die Fähre nach Riva. Warten, endloses Warten. Endlich, die Fähre nach Limone. Der bedächtige Kapitän legt am Pier an. Immer mehr Athleten treffen ein und auf dem eben noch ruhigen Anlegeplatz für Schiffe macht sich von einer Minute auf die andere Betriebsamkeit breit. Läufer aus aller Herren Länder, die gelben Kleiderbeutel geschultert, gruppieren sich nach und nach wie an der Startaufstellung. Als wäre der Startschuss gefallen, kommt Bewegung in die wartende Meute und die Läufermengen nehmen Kurs auf die Fähre – jetzt bloß nicht ausbooten lassen.

Puh, wir haben zwei der letzten Sitzplätze erwischt und schon wieder passt der Spruch: „La costanza sempre avanza.“ Mit Ausdauer kommt man immer vorwärts. Der Kapitän schwenkt den Bug seewärts. Untermalt von dem Geplätscher der Wellen, nutzen wir die ca. 40-minütige Überfahrt und lassen unsere Eindrücke der vergangenen Stunden Revue passieren, bevor wir uns auf den über 700 Kilometer langen Heimweg machen. Thomas konnte den Marathon leider nicht gewinnen, ihm fehlte ein Tempomacher. Vielleicht hat ja jemand Lust, im nächsten Jahr? Einzige Bedingung: eine Zielzeit unter 2:40 Stunden!