Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Gozo Off Road 2013

Where the Trail Ends

 

Die Laufsaison beginnt auf dem Inselarchipel von Malta traditionell mit dem Marathon Ende Februar auf der Hauptinsel Malta. Dort erfahren wir von Läufen auf der kleinen Schwesterinsel Gozo. Da hat man nun die Wahl zwischen Rennen auf unterschiedlichen Distanzen. Wer die Wege des bereits zum 38. Mal stattfindenden Gozo Halbmarathon vorwiegend als breite, schnurgerade Asphaltbänder kennt, bei der man viele Dörfer der Insel streift, wird auf dem 2. Hellfire Gozo ULTRA Trail sein wahrhaft blaues Wunder erleben. Auf einer über 50 Kilometer-Trail-Strecke mit 1.250 Höhenmetern wird die Insel einmal umrundet.

 

 

Eine Reihe maltesischer Trailrunner und Ausdauer-Junkies hatten die Idee zu diesem Lauf. Der Race-Direktor ist ein ehemaliger Olympiateilnehmer, Ironman und Extremsportler. 2011 lief er an 27 Tagen in 27 Ländern 27 Marathons für wohltätige Zwecke. Uns gefällt auch die Idee, als Paar mit einem Mountainbike starten zu können. Wer dabei das Bike fährt oder am Ende trägt, ist irrelevant – ankommen ist das Ziel. Ideal ist auch der Veranstaltungsmonat ausgewählt, denn im April herrschen dort noch angenehme Temperaturen, die Blumen stehen dann in ihrer vollen Blüte.

Unser Interesse ist geweckt, das ist schon mal gelungen. Wir lassen das Sightseeing-Programm ausfallen und machen uns auf, die Gozo zu erkunden.

Übers Meer

Gozo bedeutet „Freude“ auf Kastilisch. Es ist die zweitgrößte Insel des maltesischen Archipels, gelegen zwischen Europa und Afrika: Gozo, Comino und Malta sind durch regelmäßigen Fährverkehr miteinander verbunden.

Trotz der Sonne ist der Fahrtwind an Deck kühl. Das Mittelmeer liegt fast unbewegt vor uns. Es ist bequem, von Malta aus durch den Comino Channel zur Schwesterinsel Gozo zu fahren. Wir kommen mit zwei Engländern ins Gespräch. Auch sie sind gestern den Marathon auf Malta gelaufen und wollen den Tag zur Besichtigung der Insel Gozo nutzen. Wir erzählen ihnen von der Möglichkeit, die Insel auch sportlich laufend zu entdecken.

Dreißig Autofährminuten, beziehungsweise zweieinhalb Seemeilen später, ragt das gelbbraune Felsenplateau der Insel Gozo aus dem Meer. Vor dem im 18. Jahrhundert gebauten Fort Chambray mit der darüber liegenden markanten Pfarrkirche „Our Lady of Lourdes“ wird die Fähre vertäut. Yachten und Fischerboote liegen in dem kleinen Hafen, kleine Kalksteinhäuser ranken sich an die ruppige Küste. Aus dem großen Tor der Fähre schlürfen Ströme von Touristen in Shorts, Sandalen und weißen Socken zur Stippvisite auf die Insel, um gleich darauf im Inneren in einen der Sightseeing-Busse zu verschwinden. Auf dieser kleinen Insel bekommen Besucher eine hohe Dichte an Hotspots geboten. Über 300.000 Besucher sollen es sein, die jährlich auf einen Tagesausflug von Malta aus herüber kommen.

Schade, denn die grüne Insel bietet auch viele Möglichkeiten für Outdooraktivitäten. Einige der schönsten Flecken sind jedoch nur schwer zugänglich. Die beste Möglichkeit, zu den Geheimnissen Gozos vorzudringen, ist das Trail-Laufen. Für die vielen Touristen sicherlich nicht ganz so bequem wie der klimatisierte Reisebus, aber dafür gespickt mit einem Hauch von Freiheit und Abenteuer – überschaubar und klein, aber groß genug für jede Menge Fun. Mit 67 Quadratkilometern Ausdehnung ist Gozo fast viermal kleiner als Malta. Sie ist nur 14 Kilometer lang und halb so breit. Sie hat vierzehn Orte mit meist dörflichem Charakter, in denen jeweils nicht mehr als 2.000 Menschen wohnen, nur drei Orte – Xlendi, Mgarr und Marsalforn – liegen am Meer. Kaum sichtbar durch das Getümmel am Anleger, sieht man die Haltestelle des Linienbusses 322. Zehn Kilometer fährt man mit dieser Linie direkt vom Fährhafen Mġarr in Richtung Marsalforn.

Auf eigene Faust

Was uns sofort beeindruckt: Gozo ist grüner als Malta und die Bewohner scheinen es nicht ganz so eilig zu haben, wie jene auf der Hauptinsel. Schon der kurze Blick auf das Eiland macht Lust, es zu entdecken. Noch stehen wir verloren im bunten Sportler-Outfit vor der Basilika Mariä Geburt in dem malerischen Dorf Xaghra (sprich: „Schaara“). Es ist eine der größten Gemeinden von Gozo und man vermutet hier den zuerst besiedelten Teil der Insel, denn die megalithischen Überreste – wie die Tempel von Ġgantija – wurden in der Nähe entdeckt. Anstelle von maltesischen Verkehrsgewühl ist das Dorf wie leer gefegt. An diesem Tag sind wir anscheinend die Einzigen, die Gozo auf diese Art und Weise unsicher machen. Der Trail, den wir laufen, führt uns an die Nordküste der Insel. Eine Wanderkarte haben wir nicht dabei, würde uns aber auch nicht nützen, denn eine ausgeschilderte Tourenbeschreibung gibt es nicht, aber das Kays GPS-Gerät weiß, wo wir sind. Für alle Fälle schaltet er die „Trackback“-Funktion ein.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_011_IMG_6605

Unsere Tour beginnt nordöstlich der Hauptstadt Victoria auf einem länglichen Hügel, welcher umringt ist von schönen Buchten. „Die Navigation ist eine alte Kunst der Seefahrer. Sie versetzt den Menschen in die glückliche Lage, jederzeit zu wissen, woher er kommt und wohin er strebt, auch wenn kein Land in Sicht ist“.

Marsalforn steht auf einem Wegweiser an der Straßenecke. Es ist der wohl meistbesuchte Badeort eines einstigen Fischerdorfs. Die einst genutzten Salinen direkt an den Uferfelsen sind ebenfalls ein touristischer Anziehungspunkt.

“Reserved to Owner“

Steinmauern aus Kalkstein säumen nun den sandigen Landweg. Wir biegen auf einen schmalen, landwirtschaftlich geprägten Feldweg ein. Auf manche Steine und Mauern sind die drei Buchstaben “RTO” gezeichnet. Sie stehen für “Reserved to Owner” und weisen auf Privatgelände hin, dessen Betreten nicht gestattet ist. Unsicher fragen wir in englischer Sprache einen Gozianischen Bauern nach dem Weg. Wir laufen weiter, er winkt uns zu. Beim Lachen blitzen die Goldkronen in der Sonne.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_012_IMG_6618

Bei wunderschönem Wetter laufen wir leicht abwärts durch das Dorf. Keine unschönen Betonbauten verstellen die freie Sicht auf die Landschaft. Die sogenannten Farmhäuser, Ferienhäuser für Urlauber, sind behutsam in den Ort gebettet. Irgendwo laufen wir rechts ab. Hier endet der Asphalt und wir wagen uns erst auf einem landwirtschaftlichen Weg, dann weiter auf einen kleinen Pfad auf einem Hochplateau gelegen. Vor uns taucht eine atemberaubende Steilklippe auf, karamellfarbener Stein vor dem tiefen Blau des unendlich weiten Mittelmeers.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_013_IMG_6666

Die Mittagssonne bringt in warmen Farbtönen den Sandstein zum Strahlen. Selbst im kältesten Monat fällt laut Chroniken das Quecksilber kaum unter 12 Grad Celsius. Die Unwegsamkeit des Pfades zwingt zur vollkommenen Konzentration, denn es geht durch hohes Gras und einem strahlend bunten Teppich aus wilden Gräsern und Blumen. Auf engen, steinigen Pfaden tasten wir uns an senkrechten felsigen Abgründen entlang, wie sie sich überall an Maltas Küste erheben. Schritt für Schritt nähern wir uns einer versteckten fjordartigen Bucht. Von fern hören wir schon das Brausen der Brandung. Wind und Wellen formten die Landschaft. Kein Wunder, dass die Gewässer rund um Gozo zu den besten Tauchplätzen des Mittelmeeres gehören.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_015_IMG_6762

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_014_IMG_6759

Ruppige Felsen erheben sich steil aus dem Meer, inmitten der Einsamkeit machen wir eine Pause in einer romantischen Bucht umgeben von karibikgrünem Wasser, das an die Felsen knallt.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_019_IMG_6784

Das Highlight der Tour schlechthin. Am liebsten würde ich den lieben, langen Tag hier verbringen und auf das Meer schauen. Es geht weiter. Von der Küste wieder hoch hinauf, denn hier kommen wir nicht weiter. 167 Meter misst die höchste Erhebung der Insel, sie ist jedoch im Westteil zu finden.

Eben noch gefällige Hügel werden plötzlich zu grau zerklüftetem Gestein, dem die Trockenmauern Wege, Stufen und Kerben abringen. Um die Schönheit der Insel zu betrachten, müssen wir anhalten. Neugierig schaue ich einem Gecko nach, der über eine Mauer verschwindet, und bin erstaunt über den weiteren spektakulären Ausblick. Von weitem sieht man den gold-gelben Sand der San Blas Bay und immer im Blick leuchtend blau das Mittelmeer.

Calypso’s Cave?

Wir entdecken ein großes Loch im Fels. Ist das vielleicht die sagenhafte Höhle der Kalypso, die der Nymphe und ihrem unfreiwilligen Geliebten Odysseus als Liebeslager gedient haben soll?

Eindrucksvoller als unsere entdeckte „Grotte“ ist die großartige Aussicht. Disteln und Ginster krallen sich an den felsigen Grund. Ein Pfad ist kaum zu erkennen. Hier begegnet man niemandem mehr, es herrscht geisterhafte Stille. Ein weites, leeres Eiland, menschenleer, bäumeleer, autoleer und vogelleer.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_016_IMG_6811

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_021_IMG_6829

Vogeljagd!

Vielleicht sind wir doch nicht ganz allein? Vielleicht sitzt ein Jäger in seinem Unterstand? Auf diesem Streckenabschnitt sehen wir aufgetürmte Steintischchen und Unterstände. Im Frühjahr und Herbst, wenn die Vogelschwärme von und nach Afrika fliegen, spielen sich hier Tragödien ab. Ein hauchdünnes, für die Vögel nicht sichtbares Schlagnetz wird gespannt.

Der lauernde Jäger zieht daran, sobald sich ein Vogel jeglicher Art nähert. Aber die Unmengen von leeren und verbeulten Hülsenpatronen zeugen davon, dass es die Jäger nicht nur beim Fang belassen, sondern die Tiere mit der Schrotflinte auch erschießen. Leider noch immer eine gelebte Tradition, denn die Vogeljagd ist ein beliebter Volkssport und (noch) offiziell erlaubt.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_017_IMG_6901

Weiter laufen wir auf bröseligen alten Terrassenfeldern im Landesinnern. Vorbei an brachliegenden Trockenmauerterrassen führen Steintreppen, die eher Klettersteige als Stufen sind, hinauf. Zwischen Kaktusfeigen und Palmen befindet ein verrosteter Zaun; auf dem Tor platzt die bunte Farbe ab und darüber hängt ein verwittertes Holzschild: „Zu verkaufen“.

Der Trail geht langsam dem Ende zu. Wir nähern uns wieder dem Ausgangspunkt, das gozitanische Dorf Xagħra, dessen einst farbenfroher Anstrich zusehends verblasst.

Nur spärlich besetzt sind die Tische vor dem Café. Unser einzigartiger Trail endet hier – vorerst, denn… uns hat Gozo gepackt und wird uns nicht mehr losgelassen.

IMG_2013-02-25_Gozo Off Road 2013_500x333_018_IMG_6973

Vor der Fähre treffen wir wieder auf die beiden Engländer von heute Vormittag. Sie erzählen uns von ihrem Tag. Mit den Bussen besuchten sie die Ruinen des neolithischen Tempels von Ggantija, die zum UNESCO-Welterbe zählen, und der Legende nach von Riesen errichtet wurden und die wohl älteste noch erhaltene, frei stehende Tempelanlage überhaupt ist. Sie fuhren zur bekannten Grotte, in der Odysseus sieben Jahre lang der Nymphe Kalypso erlegen sein soll. Sie standen auf der Zitadelle der Hauptstadt Victoria und erhaschten einen schnellen Blick über die halbe Insel bevor sie mit dem Bus hinunter fuhren zum „Azure Window“, das die Brandung aus dem Stein gespült hat. Erschöpft von so viel Erlebtem wollen sie nur noch einen Sitzplatz auf der Fähre, die uns zurück nach Malta bringt.

Resümee: Laufen auf Gozo ist kein abenteuerliches Experiment – man gelangt nicht an seine körperlichen Grenzen. Der beschriebenen Trail ist auch von untrainierten Lauffreunden zu bewältigen. Am Ende unserer Tour stehen 11 Kilometer auf dem Display des GPS. Es war nur ein winziger Trail auf einer winzigen Insel. Wir nahmen uns die Zeit zum Betrachten und Staunen über die traumhafte und spektakuläre Küstenlandschaft, der Tafelberge mit den herrlichen Panoramen und die fruchtbaren Täler. Die ganze Schönheit Gozos aber wird man nur erfassen, wenn man sich nicht in diese Massen einreiht und noch besser, gleich ein paar Tage auf Gozo bleibt.

Was man wissen sollte: Fährverkehr zwischen Cirkewwa im Norden Maltas und Mgarr auf Gozo werden im Sommer täglich 33 Überfahrten rund um die Uhr angeboten, November bis Mai etwas weniger. Eine Hin- und Rückfahrt kosten für Erwachsene ca. 5 EURO.