Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Keep on running 2014

Stand Up (For The Champions)

 

„Genial, so muss es sein!“, lacht ein erschöpfter Läufer im Ziel. Showeffekte gehören hier einfach dazu! Einmal im Rampenlicht stehen. 55,2 Kilometer, 1.810 Höhenmeter an drei Tagen. Jeder der sich gewagt hat, es bis ins Ziel geschafft hat, der ist ein Sieger – auch ohne zu gewinnen. Sportmoderator Sven Simon ruft alle Finisher auf die Bühne, alle tragen das begehrte Finisher-Shirt und jubeln stolz und glücklich. Auch den Zuschauern scheint es zu gefallen, sie fotografieren und applaudieren. Spätestens jetzt will nächstes Jahr jeder dabei sein!

 

 

Was zuvor geschah

Der zunehmende Mond steht im Zeichen der Jungfrau. Mysteriöse Dinge geschehen an diesem Freitagabend in Alzenau. Der kleine Ort erzittert lustvoll unter dem Wummern der Bässe auf dem Marktplatz. Hektisches Herumgerenne und die Stimme des Moderators über die Boxen prägen die abendliche Kulisse. Schon jetzt in der Dämmerung wirkt die Stadt mit ihrer Burg düster und unheimlich. Alle zehn Sekunden flitzt eine nur spärlich bekleidete Gestalt über Treppen und Bäche. Die Schatten reflektieren sich gespenstisch in den verwinkelten Gassen.

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Ein explosiver Auftakt

Ich habe schweißnasse Hände. Ob es nun an dem feuchten Aprilwetter liegt oder ob damit mein Unbehagen zum Ausdruck kommt, kann ich nicht sagen. Zweieinhalb Kilometer rennen auf „Teufel-komm-raus“ gleicht einer Folter und gehört nicht zu meiner Stärke. Die Athleten stehen in Reih’ und Glied, aus der Gruppe wartender Läufer schießt ein anderer katapultmäßig los. Ein durchtrainierter Body, graumeliertes Haar und ein drei-Tage-Bart. Gibt es mehr Zeichen von attraktiver Männlichkeit? Gibt es nach Meinung dieses Läufers, der sein Äußeres komplettiert durch das Tragen eines straff sitzenden Supermann Jerseys. Lässig überholt er gerade einen schmächtigen Konkurrenten noch vor der ersten Kurve. Die actionreiche Verfolgungsjagd hat begonnen. Mit jedem weiteren Countdown geht an Läufer auf die Strecke, wenige Sekunden später ist er schon spurlos verschwunden.

Fünf, vier, drei, zwei, eins, los! Es ist kurz vor 20:00 Uhr als ich im sofort ausgelösten Adrenalinrausch meinem Vordermann hinterherrase. Ich rieche noch sein Aftershave, die Dämmerung hat ihn bereits verschluckt. Das Jagdfieber ist bei ausnahmslos allen Teilnehmern geweckt. Anders als bei einem Nachtwächterspaziergang ist das Tempo verdammt hoch. Die Euphorie setzt nun ungeahnte Kräfte frei. Alles geht so leicht.

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Ich springe über im Weg liegende Baumstämme und einem Bach, laufe Treppen hoch und woanders wieder runter, erklimme den steilen Hang bis zur Burgmauer, lache in eine Kamera und seile mich an anderer Stelle wieder ab. Bedauerlicherweise sind dem Gefühl von Leichtigkeit nur wenige Sekunden vergönnt.

Das Strohfeuer erlischt bereits nach Kilometer eins. Laktat schießt in meine Arme und Beine, wie in Zeitlupe vergehen die letzten tausend Meter. Lange, so denke ich mir, werde ich diesen Hammer-Sprint nicht durchhalten und schon laufe ich strahlend durchs Ziel.

Seit meiner ersten Erfahrung von KEEP ON RUNNIG, damals noch im saarländischen St. Wendel, sind einige Jahre vergangen. Am Ende des dreitägigen Trail-Events war ich einfach nur dankbar und stolz, überhaupt im Ziel zu sein. Völlig neue Erfahrungen und Eindrücke waren wichtiger als auch nur die geringste Chance auf irgendwas.

Aber jetzt, tausende Lauf- und Erfahrungskilometer später, sieht die Sache doch anders aus. Könnte ich vielleicht morgen meine Altersklasse gewinnen? Ein Schalk, sitzt mir nicht nur im Nacken, der hat sich dort längst festgebissen.

Bereits beim Auftakt des 2. VIKING KEEP ON RUNNIG liege ich knapp zwei Minuten hinter meiner Altersklassenkonkurrentin. Die schnellste meiner AK sprintete die mit Hindernissen gespickte zweieinhalb Kilometerrunde in nur 10:08 Minuten und erhielt dafür kein Leadertrikot (!). Denn beim diesjährigen VIKING KEEP ON RUNNIG, so erfahre ich, werden Altersklassen mit weniger als 15 Startern nicht gewertet und somit fallen wir acht Damen nun in die nächst jüngere Altersklasse. Das bedeutet für einige von uns Jahresschritte von über zehn Jahren.

Während begleitet von Jubelstürmen die Tagessieger und die Gesamtführenden (fast) jeder Alterskategorie auf der Bühne ihr Leadertrikot überstreifen und Sponsorenpreise überreicht werden, entwickelt sich in meinem Kopf ein dumpfes Gefühl. Die Siegesfeier dauert an, es ist nicht meine. Es folgt ein Aufprall auf den Boden der Realität.

Aber genug der Sentimentalitäten! Charmant präsentiert und informiert uns Helmut, der Streckenchef, beim anschließenden Streckenbriefing über die Besonderheiten der Strecke, den Zeitplan und die Cut-Off-Zeiten für die morgige „Königsetappe“. Die Bilder des Tages sorgen noch für staunende Gesichter und einiges Gelächter.

Crashkurs nicht nur für Trail-Enthusiasten

Etappenläufe sind zum Glück nicht mehr nur einer Ultra-Läuferelite vorbehalten – VIKING KEEP ON RUNNIG ist auch eine Einstiegsdroge für Trail-Touristen. Die Unternehmen Plan B und CS-events bieten von Samstag bis Sonntag im fränkischen Alzenau – erstmals mit VIKING als Hauptsponsor- zwei unterschiedliche Streckenlängen an. So kann auch ein Trail-Schnupperer ein Stück auf der gleichen Strecke laufen, die auch von den Trail-Enthusiasten gelaufen wird.

Aus Spaß an der Freude, an der Natur und um dem geliebten Sport einen neuen Reiz zu verleihen, organisierte Plan B mit Liebe und Leidenschaft bereits vor über zehn Jahren die ersten Mehrtagesveranstaltungen. Plan B ist prädestiniert für sportlich Ambitionierte mit einer ausgeprägten Leidensfähigkeit und die Veranstaltungen genießen in Sportlerkreisen Kultstatus. Das engagierte Team feilt ständig daran, die Veranstaltungen immer noch ein wenig mehr zu verbessern. Dabei gibt es nichts mehr zu verbessern! Vielleicht aber an der Strecke? Immer wieder wird ausprobiert. Das nennt man „aus Liebe zum Detail“. Frühzeitig erkannten sie den Bedarf von Stadtmenschen für ein wenig Abenteuer aber mit Komfort.

2. Tag: High Noon am Marktplatz

Svens Stimme lockt auch die letzten aus ihren Löchern hier am Herzen des Marktplatzes. In Alzenau ist an Mittagsruhe nicht zu denken. Keine Anzeichen von Mittagsmüdigkeit bei den meisten der motivierten Läufer. Gerne stellen sie zur Schau, dass sie sportlich ambitioniert sind. Einige trampeln auf der Stelle, sind nervös. Andere dösen scheinbar tiefenentspannt auf dem Rand des Brunnens, der im Mittelpunkt des Marktplatzes steht. Die sechs Blüten am Brunnen symbolisieren Alzenau mit seinen fünf Ortsteilen.

Ein Typ mit kräftigen Waden und Oberschenkeln schaut konzentriert, ein dem Teenageralter gerade entwachsener im bunten Textil hält mit seiner am Rand stehenden Freundin Händchen. Sie himmelt ihren Helden an. Auf seiner getönten Sonnenbrille spiegelt sich die Sonne. Sven erzählt etwas von Bürgermeisterwetter. Dicht gedrängt stehen alle im Startbereich, die Einlasskontrolle ist beendet.

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Die Gesamtführenden rasen gemeinsam aus der ersten Startreihe los, die Masse der Trail-Läufer strömt hinterher begleitet von zwölf Schlägen der barocken katholischen Stadtkirche. Dem verrückten Läufer-Volk, mit den klangvollen Teamnamen wie Frankenwaldinferno, Alpenbummler, Lebkuchen und Allerlei, folgten am Ende nur noch die offiziellen Schlussläufer Helmut, Michael und ich. Die Schaulustigen kommentieren und applaudieren. Der Held ist weg, endlich herrscht Mittagsruhe in Alzenau.

Das Hahnenkammrennen ist gestartet, die Ambitionierten sind schnell weit voraus, meine extrem ehrgeizige Tempoambition habe ich gestern Abend verworfen. Also laufe ich heute in aller Gemütlichkeit dem Hauptfeld über Wiesengelände genüsslich hinterher. Wintersportler werden bei dem Wort „Hahnenkamm“ gleich an das Skirennen in Österreich denken. Hier jedoch handelt es sich um einen Höhenzug in Mittelfranken. Er ist Ausläufer des Frankenjura, der das Nördlinger Ries vom Altmühltal trennt.

Über rotem Lehmboden führt die Strecke an der Ziegelei Zeller (Zeller Poroton) vorbei. Seit fast 200 Jahren befindet sich diese in Familienbesitz und seit über 150 Jahren werden aus dem Lehm hier die Ziegel gefertigt. Eine Informationstafel am Weg weist mich darauf hin, dass ich mich nun auf dem europäischen Kulturrundweg Alzenau 2 „Wald und Wallfahrt“ befinde.

Der breite Weg wird zur Wiese, wird schmaler und steiler. Schließlich sichte ich einen Einheimischen. Die oberste Pirschregel lautet „leise anschleichen“. Mit seinem rosafarbenen 80er Jahre Triathlon-Trikot und seinen entspannten Schritten unterscheidet sich der Mittelfranke Stefan Schlett deutlich vom Dresscode anderer Trail-Läufer. Ins Gespräch vertieft, zieht er scheinbar mühelos auf einem besonders anspruchsvollen Steilstück an uns keuchenden Läufern vorbei. Besser kein Beispiel an Stefan nehmen. Lieber die Kraft einteilen: Heute liegt die längste (27,5 KM) und schwierigste (1.037 HM) Strecke des drei-Tage-Rennens vor uns.

Was der gemeine Asphalt-Jogger gern naserümpfend meidet, rühmt man beim VIKING KEEP ON RUNNIG als etwas Besonderes: Unwegsames Gelände auf teils jungfräulichen Pfaden durch eine Landschaft mit einem eigentümlichen Image. Über eine Fläche von über 2.258 Quadratkilometer breitet sich der Spessart aus und ich bin dieses Wochenende mittendrin.

Keine Chance für Orientierungslose

Es ist Zeit die Zivilisation zu verlassen. „Wald ohne Anfang und Ende“, so wird der Spessart auch genannt. Helmut, der Streckenchef, suchte seit fast einem Jahr für uns Läufer hier nach besonders schönen Strecken. Auf dem Hahnenkamm ist er schon seit seiner Kindheit unterwegs, hier trieb und treibt er sich rum.

Rechtszeitig haben er und Plan B es geschafft, die Strecke für uns festzulegen vorzubereiten. Das gut eingespielte und erfahrene Team markierte bereits in aller Früh die Trails mit Schildern, Trassierbändern, leuchtenden Fähnchen und Richtungspfeilen aus Kreidespray. So gibt es auch kein Klagen von Naturschützern. Schließlich soll sich niemand verlaufen oder verletzen. Blaue Flecken und Kratzer sind hingegen fast nicht zu vermeiden und gehören irgendwie dazu. Kaum verlassen wir den Startort Alzenau schon beginnt der nicht ganz mühelose Aufstieg.

Durst, Durst. Nichts ist schlimmer als Durst!

Selbst Schuld, brabble ich vor mich hin. „Der Teilnehmer hat dafür zu sorgen, dass er zusätzlich immer ausreichend Verpflegung und Getränke mit sich führt“ steht in der Ausschreibung. Zuhause liegt mein Laufrucksack mit der ein-Liter-Getränkeblase. Prima! Alles Ballast, brauche ich nicht, es sind ja genügend Verpflegungsmöglichkeiten vorhanden, glaubte ich noch vor ein paar Tagen.

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Aber heute ist es warm und knappe acht Kilometer mit den entsprechenden Steigungen können wirklich lang werden. An der Verpflegung stürze ich mich auf die Cola, den tollen Ausblick von hier oben auf die Skyline Frankfurts nehme ich gar nicht wirklich wahr. Immer noch weiter geht es aufwärts. Der Durst ist gestillt, aber jetzt gluckert die Cola in meinem Bauch bei jedem Schritt.

Das frische hellgrün des Blätterwerks am Weinberg ist überwältigend. „Ich ging im Walde so vor mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“, fällt mir ein und ich frage mich, ob Goethe jemals solche Bauchschmerzen gehabt hat, wie ich gerade?

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Während ich vor mich hin trabe, habe ich mich unbemerkt über den langgestreckten Höhenzug auf 437 Metern in die Höhe geschraubt. Der Hahnenkamm mit dem Ludwigsturm und der Hahnenkammgaststätte ist erreicht.

„Das Wirtshaus im Spessart“

Ob es sich bei der Gaststätte um „das Wirtshaus im Spessart“ handelt, kann ich nicht sagen; auch nicht, ob es sich bei den vielen Mountainbikern die hier oben mit einem kalten Bier in der Hand herumlungern, um die legendären Spessarträuber handelt. Aber es ist doch eher unwahrscheinlich. Jedenfalls ist die Hahnenkamm-Gaststätte eine zünftige Schänke am Fuße des 1880 errichteten Ludwigsturms.

Noch ehe ich das Panorama über das gesamte Rhein-Main-Gebiet bis zum Großen Feldberg, meinem Trainingsterrain, wirklich aufnehmen kann, geht es für mich schon wieder bergab. Schlagartig wird mir klar, dass die Mountainbiker sich erstmal Mut antrinken müssen, bevor sie sich hier Downhill in die Tiefe stürzen.

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Herausstechend, wie als starkes Symbol, das zum Durchhalten motivieren soll, hat sich eine jahrhundertealte Eiche auf dem Bergkamm postiert. Ausgehöhlt und nur noch als ein Eichengerippe trotzte sie stürmischen Winden und Blitzschlägen. Nur widerwillig lasse ich mich überholen. Wer einmal an der Spitze läuft – und wenn auch nur an der hinteren Läufer – sieht nicht leicht ein, warum er nun wieder ins Glied zurücktreten soll.

Der aufblasbare Zielbogen macht schlapp. Zwei holländische Läuferinnen halten ihn hoch. Wieder läuten die Glocken, als ich in Mömbris, dem Zentrum des mittleren Kahlgrundes, genauso schlapp wie der Zielbogen, ins Ziel laufe.

Am Ende dieses Läufertages bekommen die Sieger ihren Auftritt. Und als würde morgen eine Hungersnot ausbrechen, schaufeln sich einige die Pasta auf den Teller. Helmut informiert beim Streckenbriefing für das morgige, letzte Rennen. „Wir“, so sagt er, „haben auch morgen ein super Wetter und so müssen zum Glück nicht noch witterungsbedingt Streckenabschnitte geändert werden.“

Nichts liegt mir jetzt näher, als den lauen Abend, mit einem kühlen alkoholfreien Bier in der Hand ausklingen zu lassen. Ich habe mich im wahrsten Sinne des Wortes ausgetobt und heute Nacht werde ich endlich wieder gut schlafen.

3. Tag: Sonntag

Die Oberschenkel schmerzen, mein Gang ist steif, als ich die Treppe zum Frühstück hinunter gehe. Ich schaue mir den Streckenplan an. Das Höhenprofil erinnert mich an mein letztes EKG. Nur noch 24,7 Kilometer, nur noch einige steile Anstiege, ein paar klitzekleine Geländepassagen in der Mühlmark und schon ist die dritte und letzte Etappe mit 758 Höhenmetern geschafft. Selbst umherstreunende Hunde legen meist mehr als 20 Kilometer am Tag zurück, murmele ich über meinem Eszet-Schnitten-Brötchen.

Ich parke mein Auto im Zielbereich von Alzenau und nehme die Kahlgrundbahn zum Start nach Mömbris. Es ist 9:45 Uhr, als ich an der Haltestelle des unterfränkischen Mömbris-Mensengesäß, nahe der bayrisch-hessischen Grenze nach zwanzig Minuten Fahrzeit aussteige. Die Startnummer war mein Fahrschein. Die Bahn verbindet den Kahlgrund mit Hanau und Frankfurt am Main. Wochentags fährt sie stündlich, aber heute am Sonntag nur alle zwei Stunden. Wehe dem, der hier nicht richtig geplant hat.

Nach wenigen Schritten bin ich auch schon am Startbereich in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes angelangt. In den Kirchen wird bereits gepredigt, gesungen und gebetet. Gebetet wurde auch in dem sogenannten „Pesthäuschen“, einer winzigen Kapelle, nur wenige Häuserecken von hier entfernt. Die Gebete wurden erhört, wenn auch nur elf Personen aus der Bevölkerung die die Pest von 1619 überlebten. Heute sind die alten Fachwerkhäuser liebevoll restauriert, die kleinen Boutiquen geschlossen, die Restaurants noch nicht geöffnet.

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Ganz anders am Startbereich, dort ist heute quasi verkaufsoffener Sonntag. Unwillkürlich zieht mich ein Pavillon mit Trail-Schuhen magisch in seinen Bann. Mal ehrlich, wer steht nicht auf neue Sport-Schuhe? Wie viele ich besitze, sage ich nicht, aber es können nie genügend sein. Manche Modelle bleiben fast ungetragen im Schrank und schnuppern niemals die frische Erde oder den heißen Asphalt. Andere wiederum trage ich nur als schmückendes Beiwerk. Jeder hat seine heißgeliebten Lieblingstreter. Aber irgendwann hat auch deren letztes Läuferstündchen geschlagen und sie wandern schweren Herzens mit Löchern in die Tonne.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Immer mächtiger wird die Anhängerschar von Trail-Läufen und damit steigt auch die Menge von Laufschuhmodellen am Markt. Trainings-, Triathlon-, Wettkampf-, Ultra-, Natural- und Trail-Running-Schuhe mit teilweise alle möglichen und unmöglichen technischen Raffinessen, in allen leuchtenden Farben. Wirklich übersichtlich finde ich das nicht.

Eine logische Konsequenz also, dass der norwegische Hersteller VIKING, in diesem Jahr der Titelsponsor bei KEEP ON RUNNIG, jedem interessierten Läufer gleich hier vor dem Wettkampf seine unterschiedlichsten Modelle zum Testen zur Verfügung stellt. Hallo! Da bin ich doch sofort dabei.

Zahlreich tickende Zeitbomben

Keine halbe Stunde später: Wieder mischt Svens klare Stimme Mömbris, den „Markt der Möglichkeiten“, gehörig auf. Die Anwohner bleiben gelassen. Warum auch sollte man etwas bewundern, was man nicht kennt und das einem nur wenig sagt? Die zahlreich tickenden athletischen Zeitbomben stehen kurz vor der Explosion. Es sieht fast so aus, als wollten sich alle hier für die Olympischen Spiele qualifizieren. Meine Stimmung hellt sich endlich wieder auf. Als hätte ich nach dem gestrigen Tag etwas abgestreift und dort liegengelassen. Wo ist eigentlich Supermann?

Walking in Mömbris

Steiler Anlauf mit steilen Anstieg. So steil, dass die Horde der hechelnden Läufer schon am Ortsrand zu unfreiwilligen keuchenden Walkern werden. Schließlich kommt die Walkinggruppe ganz zum Stillstand. Ein Überholen ist unmöglich. Zeit zum Durchatmen und Zuhören. Der Läufer vor mir grinst und fragt laut, ob wir jetzt hier alle warten müssen bis jemand vor uns mit Pippi machen fertig ist. Stefan Schlett zuckt mit den Schultern und gibt entspannt seinen Senf dazu: „Gut, dass wir hinten laufen, da haben die vor uns schon die Zecken eingesammelt“.

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Als einer der erfahrensten Läufer im Feld weiß er eben, wann man wo an welcher Stelle sein muss. Langsam findet die Walking-Gruppe zum Laufrhythmus zurück.

Streuobstwiesen

Über den Kahlgrund führt die Strecke an tausenden Obstbäumen vorbei. An allen Hängen stehen hier die Zwetschen-, Apfel- und Kirschbäume. Der Obstanbau war nicht freiwillig und wurde von den Behörden unter Androhung von Strafe bei Nichtbefolgen erzwungen. Dazu muss man wissen, dass der Kahlgrund noch bis ins 19. Jahrhundert zu den ärmsten Gegenden Deutschlands gehörte. Diese Maßnahme linderte die Hungersnot und Arbeitslosigkeit.

Ein leichter Windzug lässt weiße Blütenblätter auf mich schneien. Nur einen Wimpernschlag später sind alle Läufer im Wald verschwunden. Abwechslungsreich führt die Strecke rauf und runter.

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Hoher Fitness-Faktor durch unfreiwillige Tempowechsel und komplexe Bewegungen. Das ständige Beobachten der Strecke schult die Konzentration, das Klettern über ein Baumskelett die Koordination. Nicht unbedingt selbstverständlich und vielleicht auch ein wenig Leichtsinnig von mir, aber mit meinen VIKING Testschuhen bin ich auf Anhieb richtig happy. Kein Stein drückt durch die Sohle und mit dem Gripp macht das Abwärtslaufen noch mehr Spaß. Ich laufe schneller und schneller. Jeder Fotograf, der die Natur so authentisch, die Läufer so natürlich und die Strecke so lebendig zeigen will, braucht Gelassenheit und Ruhe. Die aber lasse ich meinem Fotografen heute nicht.

Herzstück

Kurz danach sehe ich auf exponierter Lage die unter Denkmalschutz stehenden Weinberge des Michelbacher Apostelbergs. Riesling Spätlese aus alten Reben gedeiht hier zwischen den Trockenmauern. Viele bunte Läuferpunkte gleichen einer Weinbergwanderung. Dann wird auch für mich der Weinberg steiler und steiler, die Waden dicker und dicker, das Erlebnis zwischen den alten Trockenmauern zu laufen wird größer und größer.

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Mächtiges Spektakel klingt durch die Weinberge. Es sind die Herzstückchen, die jubelnd am „steinernen Häuschen“ alle erschöpften Weinbergskletterer empfangen. Vielen Dank für das Erlebnis an das Weingut Eich. Der Ausblick, noch mehr Belohnung für die Anstrengungen der letzten steilen Stufen. Ein Blick, ein Foto und schon geht’s wieder abwärts. Einige wenige flache Kilometer und das nächste Highlight ist erreicht.

„Lieber Staub aufwirbeln als Staub ansetzen“

Dieses Zitat stammt von H. Burda. Ich bin mir sicher, er dachte dabei nicht an die Staubstrecke die wir gerade zurücklegen. Wir passieren einen großen Reitplatz. Ich denke mir noch, wie niedlich die paar wenigen Meter Sand. Aber das Geläuf bleibt so, die Strecke führt lange auf einem traumhaft schönen Reitweg weiter. Für Pferdehufe sicherlich eine Wohltat, für müde Läuferwaden noch eine weitere Herausforderung. Hinter mir höre ich es wiehern und keuchen. Da sind eben ein paar Outdoor-Enthusiasten die Gäule durchgegangen. Aber sie wurden anscheinend eingefangen, überholt haben sie mich jedenfalls nicht.

Für Walker mit Stöcken verboten (!)

Für Mountainbiker, Pferde und Hunde ebenfalls. Hier auf der halben Kilometer langen „Finnenbahn“ sind nur Läufer erwünscht und Walker ohne Stöcke. Der Lauftreff des FSV Michelbach gönnt sich das: Die von finnischen Läufern ursprünglich erfundene „Finnenbahn“. Sägespäne, Sägemehl und Holzschnitzel machen das Laufen darauf zur Fußpflege. Jeder Schritt wird auf der Waldhackschnitzelstrecke abgefedert. Einfach genial diese Idee. Lieben Dank an den FSV Michelbach, dass meine Füße das erleben durften.

Nach so viel Fußgenuss kommen meine Viking-Schuhe ein letztes Mal so richtig zum Einsatz. Kurz und steil geht es abwärts. Unten angekommen, höre ich das Klappern der Mühle am rauschenden Bach. Einst klapperten hier 80 Mühlen am Flüsschen Kahl, geblieben sind allerdings nur fünf. Längst bin ich weiter und noch immer höre ich das Klappern. Ich genieße das Rauschen der Kahl, dem Flüsschen, das zwischen der Quelle im Spessart und seiner Mündung in den Main gerade mal 30 Kilometer schafft.

So weit laufe ich heute nicht mehr. Etwa vier Kilometer und schon tauchen die jetzt bereits bekannten Umrisse der Burg in Alzenau auf. Jetzt noch einmal Zähne zusammenbeißen und Tempo steigern. Sven, der Stammmoderator von Plan B, begrüßt ausnahmslos jeden im Ziel.

Es ist vollbracht, ein sehr sportliches, kurzweiliges Wochenende ist fast zu Ende.

Finisher-PARTY

Auch Joanna steht auf der Bühne. Lächelt durch ihre Designerbrille in die Kamera, legt ihre Hände an die Hüften und strahlt. Dabei so erzählt sie mir später, waren diese Tage für sie nur das Training für den Brüder Grimm Lauf, den sie in diesem Jahr endlich wieder gewinnen will. Hier und heute ist das ideale Wetter und der ideale Ort für eine Open-Air-Siegerehrung. Wie bei allen guten Partys kommt es auf die Leute an und auch auf das Essen. Bei Kaffee und Kuchen wachsen die Gastgeber über sich hinaus.

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Aber nicht nur das: Plan B versprach allen Outdoor-Enthusiasten eine heile Welt mit Happy End und das ist ihnen gelungen. Es ist also doch möglich, dass du in drei Disziplinen unterlegen bist – und am Ende trotzdem als strahlender Sieger dastehst.

Triple-Trail:
Tag 1: 2,5 KM/15 HM/Urbantrail
(Marktplatz Alzenau)
Tag 2: 27,5 KM/1037 HM/Hahnenkamp-Trail (
vom Marktplatz Alzenau – Ziel Marktplatz Mömbris)
Tag 3: 24,7 KM/758 HM/Kahlgrund-Trail
(vom Marktplatz Mömbris – Ziel Marktplatz Alzenau)

Anreise/Parken: Parkplätze sind ausreichend vorhanden, die öffentliche Kahlgrundbahn verbindet die Etappenorte einfach und unkompliziert miteinander (Fahrplan beachten)

Veranstalter und Organisation:
PLAN B event company GmbH, CS-event

Verpflegung auf der Strecke: Sportgetränke, Cola, Energieriegel, Gels, Salami, Käse, gesalzene Nüsse Obst und Rohkost.

Gimmicks: Gutscheine für 1x Pasta-Party am Samstag und 1x Kaffee und Kuchen am Sonntag

Zeitmessung: Transponder-Chip mit Band fürs Fußgelenk

Preise: Altersklassenwertung in zehn Jahresschritten

Ergebnisse gesamt Triple-Trail Männer:
1. Lubina, Alexander (High 5)
2. Baur, Marcus (Lauf & Trail Team Ostalb)
3. Marquardt, Christian (Team ultraSports/LAC Rudolstadt)

Ergebnisse gesamt Triple-Trail Frauen:
1. Bäuscher, Lea (ASICS Frontrunner)
2. Vabic, Nina (ASICS Frontrunner/TSG Kleinostheim)
3. Weidler, Carina (Laufticker.de/Engelhorn Sports Team/TuS 06 Heltersberg)

Finisher: 278 Sportler finishten den Triple-Trail (alle 3 Rennen)

Angemerkt: Kostenlose Übernachtung in einer Schulturnhalle mit Duschen ist möglich. Der Weg zum Start-/Zielbereich ist kurz.

Resümee: Wer die Atmosphäre bei Veranstaltungen von PlanB einmal geschnuppert hat, der will mehr! Und das kann man haben.
Allein neun Trailrunning- und drei Mountainbike-Events stehen auf deren Programm.