
Andrea Helmuth
Allgäu Panorama Marathon 2011
Auf der Suche nach Yvonne
anschauen, ansehen, beeindrucken, berauschen, betrachten, faszinieren – aus Wiktionary habe ich diese Verbe zu dem Begriff Panorama gefunden. Mit Recht trägt der Marathon diesen Namen. Schon bei der Anreise vom Norden kommend, empfängt uns das Allgäu mit einer Bilderbuchlandschaft. Vom sanft gewellten Alpenvorland schwingen sich die ersten Bergzüge auf.
Die Vorfreude und unser alpiner Tatendrang steigen seit den 4Trails. Mittlerweile sind wir fast ausnahmslos alpenfixiert! Aber noch ein guter Grund zieht uns in die Berge: Berglaufen macht schlank!
Wenn ich die bunten Frauenzeitschriften am Kiosk sehe, dann lautet fast jede Überschrift: Abnehmen mit der Mond Diät, Sommer-, Herbst oder Winterdiät. Aber, abnehmen ohne Hungern geht am besten beim Laufen und zwar möglichst lange. Vorbei die Zeiten, an denen man versucht unter 4 Stunden einen Marathon zu laufen. Nein, lieber länger. Tatsächlich gibt es auch eine Menge Läufer, die zwar regelmäßig durch die Gegend joggen aber dennoch nicht den gewünschten Gewichtseffekt erzielen. Regelmäßig drehen sie ihre Runden, bemühen und motivieren sich immer wieder aufs Neue, der scheue Blick auf die Waage bringt sie aber jedes Mal näher an den Rand der Verzweiflung, denn die rührt sich nicht – scheint stecken geblieben zu sein. Genauso erging es mir auch einmal.
Mittlerweile besitze ich keine Waage mehr und wenn ich beim Arzt gewogen werde, kucke ich weg. Aber auch für mich ist heute das oberste Ziel: ich will möglichst hoch und weit hinaus, denn in einem kürzlich veröffentlichten Artikel über die Fettverbrennung von Bergsteigern las ich folgendes: Der Körper zapft sofort Fettreserven an, übergeht die Kohlenhydratdepots. Je höher die Testpersonen aufstiegen, desto mehr Fett wurde von ihren Körpern verbrannt.
S‘ Allgäu isch in und s´Allgäu isch Kult!
Kult ist für uns -wenn möglich- eine Bücherei anzusteuern, um uns für die Berichte mit Lokalem einzudecken und das machen wir auch am Samstag. “Luag nei“. Sagt der Buchhändler an der Eingangstür, wir lassen uns nicht zweimal bitten und er möchte seine im Moment sehr angesagten Allgäu Krimis an die Frau bringen. “Und mit eisre „kuhle“ Poschtkarta kasch deine Freind oder Verwandte vo weiter weg an scheena Gruaß schicke” fährt er eifrig fort.
Wir schlendern weiter bis zur Markthalle von Sonthofen in der die Nudelparty mit anschließendem Briefing stattfindet. Vor der Halle befindet sich die Läufermesse, dort treffen wir auch Ralf Eggert seit Jahren mal wieder. Ralf ist in der Triathlon-Szene sehr bekannt, ebenso seine Frau Nina. Ralf und Nina haben sich vor ein paar Jahren für das Allgäu entschieden. Von Ralf erfahren wir auch, dass Axel Reusch, neben Christian Feger, einer der Organisatoren des Allgäu Panorama Marathons, in drei Wochen gemeinsam mit Ralf einen IRONMAN-Wettkampf in Wisconsin (USA) angehen wird. Natürlich beide mit Hawaiiqualifikationsambitionen. So eine Veranstaltung organisieren, arbeiten und sich auf die Langdistanz vorbereiten, dies verdient unseren ganz besonderen Respekt!
Die Nudeln waren lecker, aber vor so einem Marathon brauchen wir noch mehr. So suchen wir uns an diesem wunderschönen lauen Abend ein nettes Lokal im Ort. Wir setzten uns zu ein paar Männern an den Tisch. Schnell stellen wir fest, es sind Oihoimische (Einheimische). Die Alpenwanderer waren in früheren Zeiten in Wirtshäusern nicht gerne gesehen. Wie kann man zu Fuß gehen, wenn die feinen Herrschaften doch mit der Kutsche oder dem Auto in die Berge fahren. Heute ist dies anders. Eine freundliche Bedienung im modischen Louis Trenker Outfit, fragt uns, was wir bestellen möchten. Ich bestelle mir eine extra große Portion von den sauguaten Kässpätzle. „Und I weà ma a Bià nemma und a Boàzion Schwainsbrōn mit Gnedln (und ich nehme ein Helles Bier und eine Portion Schweinebraten mit Klößen) sagt Erwin, der Oihoimische. Vorfreude auf den nächsten Tag. Wir übernachten nur unweit von Sonthofen, im kleinen Ort Fischen. Dort steht seit Dezember letzten Jahres ein Design-Budget-Hotel und es ist das erste zertifizierte Passivhotel Europas. Martin zum Beispiel übernachtet im Auto. Wer braucht Luxus, wenn das Panorama fünf Sterne hat? Später schlafe ich über meinem neu erstandenen Allgäu Krimi ein.
Nach einem ALM-Traum erwachen wir zu spät, verflogen das kuschelige Gefühl von gestern Abend, ich denke nur an zwei Dinge:
1. Zum Glück müssen wir nicht wie die Ultraläufer bereits um 6 Uhr an der Startlinie stehen. Durch die kürzere Distanz haben wir zwei Stunden Zeitersparnis.
2. Unser Frühstück muss Proteine enthalten. Sport vor dem Frühstück verbrennt am meisten Kalorien habe ich gelesen. Denn Frühsport soll den Stoffwechsel schon morgens anregen und die Folge: ein höherer Energieverbrauch über den Tag hinweg! Yippi!
Um 1877 kamen die ersten „Sommerfrischler“ ins Allgäu und damit begann der Tourismus. 1909 wurde der Sonthofer Skiclub gegründet, den wir u. a. auch unseren heutigen Lauf zu verdanken haben. Das Allgäu wirkt wie aus der Zeit gefallen, Giebeldächer, Balkone mit Geranien davor dominieren. Es ist ein guter Mix zwischen, Oihoimischen, Gästen und Läufern. Von der Bücherei bis zur Post sind es nur ein paar Schritte. Sonthofen „mausert“ sich zur Sportregion Deutschlands. Sowohl „BIKE Trans Germany“ als auch die „BIKE Transalp“ gastierten bereits in diesem Jahr in Sonthofen.
Der Start ist am Allgäu Outlet. Gestern, bei der Abholung unserer Startnummer waren wir dort auch gleich mal richtig schoppen denn es ist Alpeneinkaufsnacht in der Innenstadt Sonthofens. Einkaufen mit Alpenflair. Die weibliche Bevölkerung führt ihr Dirndl aus, die Männer ihre knackigen Lederhosen. Jetzt hab ich auch so ein Louis Trenker Teil denn nach Vorlage der Startnummer gab es 20 % auf den Einkauf. Im Laufladen von Alex habe ich mir einen Laufrock „gegönnt“ und beim Bezahlen an der Kasse sage ich zu Axel: „Monika und Lothar aus Berlin waren wohl auch schon da“. Sie haben ihre Spur hinterlassen in Form einer Ausschreibung vom Trans Martinique.
Der Bürgermeister spricht ein paar sympathische Worte. Rekordzahlen bei der Anmeldung für den Marathon, Halbmarathon und den Ultra-Trail. Besonders in den ersten Startreihen sieht man auch manchmal schön rasierte Beine. Es riecht nach Allgäuer Latschenkiefer. Extra stark! Vielleicht ist das der Schlüssel zum Erfolg? Denn so lese ich, die Einreibung mit diesem Körperpflegemittel soll dazu beitragen, die Ausdauer und Leistungskraft der Muskulatur zu erhöhen sowie die Verletzungsanfälligkeit zu verringern. Eine Tube war übrigens im Startpaket enthalten.
Gemeinsam zählen wir den Countdown runter, 3,2,1 Start.
Die ersten 3 KM laufen wir noch flach und viel zu schnell über die Immenstädter Strasse und dem Illerdamm. Da passiert es auch schon: Ganz unangenehm sind die allzu Ehrgeizigen, die durchaus noch alle anderen überholen wollen. Sie treiben und hetzen. Wir lassen uns durch solche Läufer, zumindest meistens, nicht aus der Ruhe bringen. Allerdings ist so ein Meisterexemplar Kay beim Fotografieren von hinten in die Achillesverse getreten, dass es einige Kilometer fraglich war, ob wir weiterlaufen können. Langsam kommen wir wieder in unseren gleichmäßigen Schritt und laufen auf den Spuren der Ultramarathonis, die bereits zwei Stunden vor uns dieses Weges trabten. Dabei kommen wir uns schon fast wie Außenseiter vor, startet doch jeder, der was auf sich hält mittlerweile auf der Langdistanz. Glück für euch das wir „nur“ den Marathon laufen werden, somit wird mein Bericht nicht noch länger aber es gibt halt manchmal so schrecklich viel zu berichten.
Für die ultralangen Trailgeschichten sind heute Anton und Bernie zuständig. Wir wollen und müssen vernünftig sein. Unser Programm für die nächsten Wochen wird uns noch genügend fordern. Das Feld zieht sich auseinander, endlich können wir uns auf die Umgebung konzentrieren. Es herrschen beste Voraussetzungen zum Bräunen auf der Strecke und für einen traumhaften Lauf. Unter einem weiß-blauen Himmel auf saftigen Almwiesen geht es aufwärts. „Koa Problem, des schaffma scho!“ sagt eine Stimme hinter mir.
Mit wachsenden alpinen Laufansprüchen verändert sich das Publikum in seiner Zusammensetzung. Unabhängig von der Höhenlage gibt es also einen klar ausmachbaren Allgäu-Typus unter den Läufern. Ein echtes Alpenoriginal ist der Läufer, der uns jetzt überholt, ein sehniger, drahtiger Typ mit wehenden langen Haaren. Während wir so aufsteigen, ich keines klaren Wortes fähig bin, erzählt er und erzählt, ich höre ihm zu, auch wenn ich nicht alles verstehen kann. „Hosdme?“.
Im angenehmen Aufstiegstempo geht es hinauf in Richtung Allgäuer Berghof. Die Region zwischen Alpsee und Grünten ist auch im Sommer beliebt für große Sport-Events. Zu diesen zählt auch der internationale Allgäu Triathlon in Immenstadt. Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, das wir hier Marathon laufen und dabei haben wir den Allgäu Triathlon, auch bekannt unter Allgäu Hai, noch nicht gemacht. Der steht auch schon lange auf unserer Wunschliste. „Na, dann aber doch bestimmt nächstes Jahr“ sagt Kay zu mir. Wer weiß, vielleicht kann ich mich tatsächlich im nächsten Jahr nochmal zum Triathlon motivieren. Ich hab da auch schon wieder so eine Idee im Kopf, aber die verrate ich hier noch nicht. Genug geschwätzt. Weiter geht’s, an der Weltcuphütte und am Ausstieg des von Ofterschwang kommenden Weltcup Express vorbei. Wir laufen höher und höher, es geht sehr steil bergan. Wir kommen über die Hörner zum Gipfel Weiherkopf. Eine Postkartenidylle tut sich auf. Auf 1.665 Meter haben wir heute einen herrlichen Rundblick vom höchsten Punkt des Marathons.
Höheneffekte
Bei einer kürzlich veröffentlichten Studie der Münchner Universität verbrachten 20 übergewichtige Personen eine Woche auf der Zugspitze (2650 Meter). Völlig ohne Diät und Sport nahmen sie im Durchschnitt 1,5 Kilo ab. Ich würde hier am liebsten mein Zelt aufschlagen und zwar so lange, bis ich mein Traumgewicht erreicht habe. Kay findet diese Idee nicht so gut. Unweigerlich muss ich an Anton denken und nun weiß ich auch, warum der so über die Berge fliegt, denn auch der Name klingt schon nach einem Mann der Berge: Natur- und Erdverbunden.
Ein Skilift vom Skigebiet um das Hörnerhaus ist zu sehen. Im Winter ist dies auch ein herrliches Gebiet für Skitourengeher. Wer es aber bequem lieber hat, der lässt sich mit der Hörnerbahn nach oben bringen. Für den Schnee ist längst nicht nur noch Frau Holle zuständig. Schnee können diese Eismaschinen die wir hier überall sehen, noch bis plus 30 Grad Celsius liefern! Bei Eismaschine fällt mir die Wettervorhersage für den heutigen Tag ein: „Am Sonntag scheint aus einem blauen Himmel ungehindert die Sonne, und es gibt nur sehr vereinzelt wenige Wolken im Oberallgäu. Die Tiefsttemperaturen betragen 12 Grad, die Höchstwerte 35 Grad! Unglaublich, nach der Regenzeit der letzten Tage.
Von der Bergstation Hörnerbahn geht’s sehr steil abwärts bis auf 1.509 Meter. Die Oberschenkel brennen. Wanderer auf den Weg nach oben machen uns den Weg frei. Wir können vom Gipfelpanorama gar nicht genug bekommen und da locken Liegestühle auf der Terrasse des Hauses. Mein Gott, warum muss ich laufen, warum können wir nicht einfach hier bleiben? An der Strecke steht eine Clique Mädels, verschönert mit Insignien jugendlicher Urbanität mit den Alpen als Kulisse im Hintergrund. Ins Gespräch vertieft betrachten sie die Läufer. Die Läufer auf die sie warten sind wohl schon vorbei?
Einige Zeit bevor man ihn sieht, hört man ihn bereits schnauben und trabbeln. Nun kann er nicht mehr weit sein. Da ist er wieder, unser Oihoimischer. Den müssen wir irgendwo überholt haben. Gemeinsam laufen wir über den Sattel am Riedberger Horn nach Grasgehren. Vom Gipfel des Riedberger Horns geht der Blick hinüber nach Süden zum Gottesackerplateau und dem Hohen Ifen, im Westen sieht man die Schesaplana und den Säntis über den Bregenzerwald-Bergen und im Osten ragen die Lechtaler Alpen hinter dem Allgäuer Hauptkamm auf. Man muss es nur wissen. Bei diesem Wetter haben wir einfach gestochen scharfe Konturen eines grandiosen Panoramas.
Wie schön, bei Alpenpanorama zu laufen und dabei noch Kalorien zu verbrennen. Pro 7000kcal die man verbrennt baut man ungefähr 1kg Körperfett ab! Pro Stunde werden es so ca. 208 Kalorien sein. Ich könnte ja heute z. B. auch Bügeln (33kcal/h) oder Putzen (66kcal/h). Beim bergab laufen strenge ich mich wahrscheinlich nicht genügend an, denn sonst hätte ich nicht so abwegige Gedanken. Wer will schon bei solch einem Wetter sonntags bügeln oder putzen? Kalorien hin oder her? Zum Glück kann ich nicht lange darüber nachdenken, denn man kommt gar nicht dazu und wozu auch? Diese Gegend bietet viel zu viel Kurzweil. Trotzdem frage ich mich, wann kommt die nächste Verpflegung?
Wir laufen durch ein Gatter Richtung Alpe Schönberg (1.330 Meter). Ich bemerke seit ein paar Kilometern, dass sich an meinem Fuß eine Blase bildet. Ich bleibe stehen. Tatsächlich, so eine richtig schöne Wasserblase hat sich an meinem ohnehin schon lädierten Fuß gebildet. Luis Trenker empfiehlt in seinem Buch „Meine Berge“ aus den 50ern unter dem Kapitel „Rüstzeug und Hilfsmittel“ folgendes: „ungemein wichtig ist die dringend anempfohlene Mitnahme einer Pistole zum Schutze gegen angreifende Adler und eines Wacholdersträußchens am Hut, welches das beste Mittel gegen Wundlaufen(!) sei“.
Das habe ich alles natürlich nicht dabei, aber einen Labello. Diesen schmiere ich mir auf den Fuß. Eine vielleicht außergewöhnliche Idee, aber was Besseres ist mir im Moment nicht eingefallen. Die Methode hat sich später aber als absolut wirksam herausgestellt. Für die Lippen verwende ich diesen Lipstick aber trotzdem nicht mehr – den gebe ich Kay.
Kurz nach diesem „Zwischenfall“ trennt sich die Strecke der Ultraläufer und Marathonläufer. Weiter geht es leicht abwärts in Richtung Dinigörgen-Alpe (1.280 Meter). Die Dinigörgenalpe liegt zwischen Piesenkopf und Beslerkopf, dessen Felswände man vom Riedbergpass so schön sehen kann. An der Alpe ist auch unsere nächste Verpflegung. Es ist heiß; so heiß, dass sogar der Berg schwitzt. Ich nehme mir gleich zwei Becher Cola. Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, dass während einer körperlichen Belastung das Koffein helfe, die Fettreserven schneller anzuzapfen. Na denn Prost.
Die Helfer, die uns die Alpencola reichen, sagen zu uns: „ihr seht noch gut aus, die vor euch, sahen erheblich schlechter aus“. Ich lache, und zum Spaß antworte ich: „Na denn, nix wie los, dann kriegen wir die irgendwann noch“. Die Dinigörgenalpe ist im Sommer bewirtschaftet und ist eine Vertreterin der sogenannten Galtalpen, was bedeutet, dass hier nur Jungvieh = Galtvieh gehalten wird. Von den Kühen hört man nur das unsanfte Reißen am Gras und das Malmen ihrer Kiefer.
Mir fallen die Schlagzeilen der letzten Wochen ein. Yvonne. Ja genau, die Sommerloch-Waldläuferkuh. Dass eine Kuh ohne erkennbaren Anlass wegläuft, und wie ein Reh im Wald leben will, das ist schon äußerst ungewöhnlich. Aber auch eine schöne Geschichte. Meine Theorie lautet seit heute: Die ist bei ihren Verwandten untergetaucht und nun denke ich bei jeder Kuh die wir sehen, ist das Yvonne? Über das Lochbachtal geht’s hinab vorbei am Hirschsprung. Der Hirschsprung, der schluchtartige Einschnitt entstand durch die erosiven Kräfte der Breitach.
Der Name „Hirschsprung“ rührt der Sage nach von einem Hirsch, der von einem Luchs verfolgt, über die Schlucht sprang. Daher ziert der springende Hirsch noch heute das Gemeindewappen von Obermaiselstein und der Sturmannshöhle von der wir uns nur unweit befinden. Am Samstag haben wir diese einzige Spalthöhle des Allgäus besucht. Bei Hitze ein idealer Aufenthaltsort denn in der Höhle sind es konstante 4 Grad Celsius. Etliche Treppenstufen geben seit über einhundert Jahren den Blick frei auf das untere Stockwerk der Höhle mit dem gurgelnden und tosenden Höhlenbach.
Ich merke, es geht mal wieder bergab und meine Gedanken triften daher auch schon wieder ab. Jetzt sind wir in Obermaiselstein und damit 859 Meter über Normal Null. Hier stoßen wir auf den „Obermaiselsteiner Sagenweg“. Für eine Sage habe ich diesen Anstieg gehalten, aber der ist Realität. Zum Glück ist hier eine ganz angenehme Kühle und Feuchtigkeit im Wald. Es ist wirklich ein Märchenwald. Fünf Sagenthemen wurden von einer heimischen Künstlerin in Szene gesetzt. So laufen wir am schlafenden Drachen vorbei der den Goldschatz in der Sturmannshöhle bewacht und den vier „Wilden Fräulein“, die im Wasserfall des Fallenbach feines Leinen waschen. So könnte es noch ein paar Kilometer weiter gehen. Leider laufen wir nur ein viel zu kurzes Stück auf diesem Sagenweg und schon hat uns die Realität wieder. Ich spüre es am eigenen Leib. Noch 10 KM bis ins Ziel und ein letzter steiler Anstieg. Je besser die Kondition, desto größer der Genuss und so können wir heute noch ein paar Plätze gut machen.
Die letzten ca. 8 KM gehen flach dahin. Auch in den stillsten Winkeln dieser Berge findet jeder ruhige Moment sein Ende. So langsam beginnen die Touristenströme auf den Wegen zu Fuß und auf zwei Rädern. Wir Läufer fühlen uns wie ein Backhändl am Spieß so knallt hier die Sonne ins Tal. Auf den letzten KM mobilisiere ich nochmals alle Kräfte. Dabei hilft mir Sonja. Sonja wurde gestern beim Cross-Triathlon Deutsche Meisterin und fährt nun nach Maui. Gut, falls ich tatsächlich eine Chance auf einen Altersklassenplätz hätte, so würde ich zwar nicht nach Maui kommen, aber für einen Altersklassenplatz gibt es einen außergewöhnlich designten Läuferpokal. Aber angesichts der vielen Läuferinnen in meiner Altersklasse doch wohl eher ein verwegener Wunsch. Trotzdem, ich kämpfe.
Bei etwa 39,8 KM erreichen wir den neunten und letzten Verpflegungspunkt, wir laufen daran vorbei. Die Frau vor mir, vom Tigerbalm-Team, sieht doch irgendwie nach meiner Altersklasse aus, oder? Eben vernehme ich die Stimme des Moderators, die letzten Meter tun weh, jetzt nur nicht nachlassen – sie bleibt dran. Geschafft! Nach 5:30 Std. bekommen wir einen Handschlag von Alex. Wir sind im Ziel und das Schönste daran, es geht uns bestens. Das Training wirkt! Der Panorama-Marathon stimmt uns ein auf den Transalpine-Run.
Mit einem alkoholfreien Bier in der Hand kommen wir mit Andreas ins Gespräch. Heute war sein erster Bergmarathon erzählt er uns begeistert, und noch eine schöne Geschichte hat er zu berichten. 2008 nahm er an einer Verlosung zum IRONMAN auf Hawaii teil und gewann. So flog er mit seiner Frau, gleichzeitig auch der 15. Hochzeitstag, nach Hawaii und stellte sich ahnungslos den Anforderungen, die selbst gestandene Triathleten scheitern lassen. Er kam als Finisher nach etwas über 15 Stunden ins Ziel.
Während wir im Ziel noch auf Stefanie Felgenhauer warten, beginnt ein paar Meter weiter die Siegerehrung der Marathonläufer. Für die drei Erstplatzierten jeder Altersklasse gibt es die originellen „Steinmännle“ zu gewinnen. Erwähnenswert ist, dass diese tollen Trophäen von Menschen in einer Einrichtung der Diakonie hergestellt werden.
Das unglaubliche wird wahr, als der Sprecher sagt: „auf Platz 3 Andrea Helmuth“. Ich strahle über beide Ohren und freue mich über diesen Platz und vor lauter Freude bekomme ich gar nicht mit, das die beiden Damen auf den Plätzen 1 und 2 vom Orthomol-Team sind, Gesamtsiegerinnen auf den Plätzen 1 und 2 und geschlagene 1,5 Std. vor mir im Ziel waren. Später denke ich mir, Orthomol nehme ich ja auch aber diese beiden Damen scheinen darin zu baden.
Auch unser Oihoimischer aus Kempten gewinnt in seiner Altersklasse, ebenso Jutta die ihre. Der Zielsprecher gibt den Zieleinlauf der ersten Frau auf der Ultramarathonstrecke durch. Es ist Stefanie! Vor ein paar Wochen wurde sie bei den 4-Trails gesamt 3. Frau und heute gewinnt sie hier bei ihren ersten Ultralauf. Hat dieser Lauf nicht ein schönes Happy End?
Bevor wir uns auf den Heimweg begeben, fahren wir noch bei einer Bergbauern Sennerei vorbei. Dort decken wir uns mit selbstgemachten Joghurt und natürlich den für diese Region beliebten Bergkäse zum überbacken der Kässpätzle ein.
Hier ein schnelles Rezept für einen Ultraläufer oder zwei Marathonläufer
500 g Spätzle aus dem Kühlregal
(Fertigprodukt bringt 2 Stunden längere Trainingszeit!).
1 Zwiebel, 200 g geriebener Käse (Emmentaler), Salz und Pfeffer
Öl in einer Pfanne erhitzen und die in Würfel geschnittene Zwiebel glasig bzw. leicht braun werden lassen. Anschließend die Spätzle zufügen und erhitzen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und den Käse darüber geben. Nun warten man bis der Käse geschmolzen ist und schon sind die Käsespätzle fertig.
Dazu passt ein gemischter Blattsalat.
Wer mag, kann noch ein paar Röstzwiebeln über das fertige Gericht geben.
So, jetzt ausprobieren, aber Vorsicht, es besteht akute Suchtgefahr für die Kässpätzle und den Marathon!
FAZIT:
Ein Lauf für Genießer und für anspruchsvolle Panoramen-Gourmets. Kurzum für all diejenigen, die sich gerne den schönen Dingen im Leben widmen. Die Variationsmöglichkeiten der Strecken sind äußerst vielfältig. Es gibt sie in den Größen XS-S-M-XXL. Theoretisch kann man sich je nach Lust, Kondition und Wetterlage die passende Tour zusammenstellen: Den Ultra-Trail, mit 69 Kilometern und 3.000 Höhenmetern und zur Belohnung bekommt man zwei Qualifikationspunkte für den Ultra-Trail du Mont Blanc 2012. Keine Qualifikationspunkte aber dafür ein anstrengender Genusslauf bietet die Marathonstrecke. Sie ist mit ihren 1500 Höhenmetern auch nicht zu unterschätzen. Alle anderen können sich ebenfalls in prächtiger Kulisse beim Halbmarathon austoben. Es letztendlich alles nur eine Frage des Tempos – nicht die Strecke tötet, nur das Tempo! Auch die Kleinsten haben eine Stecke zum Austoben.
Leistungen:
Chip-Zeitnahme, schöne Finisher-Medaille, Nudelparty, Funktionsshirt, gut gefüllter Marathon-Beutel, Verpflegung auf der Strecke, Früchtebuffet, Massage im Ziel, freier Eintritt ins Freizeitbad Wonnemar.
Siegerinnen und Sieger
Marathon
Männer
1 JANSON, Thomas GER SV Ohmenhausen 3:28:42
2 NEUHAUSER, Seppi AUT Tri Team Kleinwalsertal 3:28:46
3 SCHENK, Felix SUI Run Fit Thurgau 3:30:20
Frauen
1 OTT, Gerti GER Orthomol-Team 4:01:38
2 KRAUS, Sabine GER Orthomol-Team 4:10:13
3 ERDMANN, Kerstin GER Erdinger Alkoholfrei 4:28:26
216 Finisher
Ultratrail
Männer
1 MIKSCH, Thomas TV Jahn Kempten GER 6:24:56
2 STORK, Christian Team Salomon GER 6:54:39
3 IINO, Wataru SG Stern Stuttgart JPN 6:57:10
Frauen
1 FELGENHAUER, Stefanie GER Craft Women SCMK Hirschau 8:25:41
2 KONOLD, Silke GER LT Herbrechtingen 8:49:32
3 SCHUHAJ, Antje GER TV Jahn Kempten 8:50:34
246 Finisher