Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Bremen Marathon 2011

Glück muss man haben

 

Der Bremen Marathon belegte beim m4y-Voting den 3. Platz in Norddeutschland 2010. Und, wer hätte das gedacht: Die Norddeutschen sind laut einer erst kürzlich veröffentlichten Studie die glücklichsten Menschen der Republik.

 

 

 

 

Die Bremer gehören zu den glücklichsten Deutschen

In Bremen leben glückliche Menschen. Nur die Hamburger sind noch zufriedener. Wollten daher Esel, Hund, Katze und Hahn als Stadtmusikanten nach Bremen? Die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten schreiben die Gebrüder Grimm irgendwann um 1819 nieder und dabei ist sie so aktuell wie eh und je. Die Gesellen waren ihren Arbeitgebern zu alt geworden und sollten, gemoppt, abgefunden, rausgeschmissen, outgesourcst werden. Auch heute haben viele Auswanderer ähnliche Beweggründe – nach dem Motto „etwas Besseres als den Tod finde ich überall“. Der Gedanke der Tiere, sie könnten in Bremen Stadtmusikanten werden, steht sinnbildlich für eine bessere soziale Qualität der Bremer Kultur aus der Sicht der Bevölkerung des Umlands.

Die Monotonie liegt dumpf vor unseren Augen: Ein langes Band aus Blech. Da kann die Musik im Autoradio auch noch so schön sein – die Autobahn wird nicht hübscher. Vielleicht hätten wir lieber über die Märchenstraße in Hanau bis zu deren Ende in Bremen fahren sollen. Langsam rollt unser Wagen ins Parkhaus in der Nähe der Startnummernausgabe des Swisshotel am Hillmansplatz. Schon auf dem Weg zu diesem Hotel entdecken wir das Käfermobil, welches für den Bremen Marathon wirbt.

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„Schaffen schaffen unnen und boven, unnen un boven Schaffen!“

Mit diesem Ruf, mit dem früher die Seeleute auf Segelschiffen zum Essen gerufen wurden, beginnt das älteste Festmahl der Welt, einst ein Abschiedsessen der Reeder und Kaufleute für Kapitäne, die zum Ende des Winters wieder auf große Fahrt gingen. Der zeitliche Ablauf beim Schaffermahl ist minutiös geregelt, bis hin zum menschlichen Bedürfnis in den sogenannten „Raupipau“, den Rauch- und Pinkelpausen. Überaus reichlich ist das Mahl: Hühnersuppe, Stockfisch mit Senfsauce, Braunkohl mit Pinkel und vieles mehr. Erst seit 2008 ist der Begriff „Schaffermahlzeit“ offizielles und eingetragenes Markenzeichen. Schließlich ist es kein elitäres, sondern ein Freundschaftsessen. Auch wir folgen der Einladung zu unserem traditionellen Brudermal, der Pasta Party, ebenfalls seit Jahrzehnten immer am Tag vor einem Marathonlauf mit stets gleicher Speisefolge nur mit weniger Auswahl. Ihr wisst was es gibt: Nudeln mit Tomatensoße und heute mit Erdinger Alkoholfrei. Auf unserer Besichtigungstour durch Bremen bin ich mit dem linken Fuß ins Glück getreten. Kein Spaß – schon gar nicht mit einem Nike Free. Wer diesen Schuh kennt, der weiß von was ich rede. Wie ist das eigentlich in diesem Fall mit dem Glück, wenn man wo „reingetreten“ ist? Soll es an diesem Tag Glück bringen, am nächsten oder vielleicht am übernächsten? Heute auf jeden Fall nicht. Leider haben wir unsere Essensgutscheine im Hotel vergessen, und ohne Bon keine Pasta – Basta! Pech für uns – Glück für die Anderen.

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Sonntagmorgen. Aus dem Radio quakt gerade der Wetterfrosch, der gar nicht hoch genug klettern kann und bis zum Mittag das allerbeste Hochsommerwetter verspricht. Kaufmannshäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert bilden eine anregend-schöne Kulisse. Auf den Domtreppen wimmelt es von Läuferinnen und Läufern. Auch wir haben noch Zeit und möchten uns seligen Beistand holen. – Nein stimmt nicht. Eigentlich wollten wir noch schnell die Kirchenmaus suchen. Sie wurde von einem Handwerker vor fast 800 Jahren im Altarraum verewigt. Leider kommen wir an dem Kirchendiener oder neudeutsch Kirchentürsteher nicht vorbei. Sie sind schlecht gelaunt und sprechen das Wort zum Sonntag. „Wir Läufer sollen die Treppe freimachen, schließlich wäre ja bald Gottesdienst“. Bei so viel „Freundlichkeit“ dürfen die sich nicht wundern, dass der Marathon mehr Zuspruch hat als ein Gottesdienst an Weihnachten. Wenn es schon nicht mit dem kirchlichen Zuspruch klappt, so vielleicht bei den Bremer Stadtmusikanten. Auch Roland blickt mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Dom.

Auch Roland hatte Glück

6 Meter ist er groß, der Roland, Sinnbild von Gerichtsbarkeit und Stadtfreiheit. Er wacht seit 1404 über den Marktplatz der Hansestadt und heute über die insgesamt über 5000 Athleten. Er symbolisiert städtische Bürgerfreiheit und wehrhafte Wachsamkeit. Doch schon viel früher hatten die Bremer Bürger einen hölzernen Roland als Provokation für die Erzbischöfe errichtet. Diese ließen das Holzdenkmal 1366 niederbrennen. 40 Jahre später wurde das heutige Denkmal errichtet. Im Volksmund heißt es: Solange der Roland steht, bleibt Bremen eine freie Stadt. Sollte er einmal zerstört werden, so blieben 24 Stunden, um ihn wieder aufzubauen. Im 2.Weltkrieg wurde er deshalb komplett eingemauert und überstand so die vielen Bombenangriffe auf Bremen. Ein weiterer interessanter Fakt ist, dass der Abstand zwischen den Knie-Spitzen des Rolands 55 cm beträgt. Dieses Maß entsprach einer Bremer Elle und so wurden die Knie des Rolands früher von Bürgern und Händlern zum Abmessen von Waren verwendet.

Wir drehen noch eine Runde ums Rathaus. Prachtvoll ist das Rathaus mit der Weserrenaissance-Fassade und wir schlängeln uns durch die Läufermassen bis zur Westseite, um noch schnell den Esel an den Vorderbeinen zu fassen. Das Bronzedenkmal der Bremer Stadtmusikanten wurde 1953 von Gerhard Marcks geschaffen.

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Eine Legende besagt, dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man den Esel mit beiden Händen um die Vorderbeine fasst. Wichtig ist, nicht nur mit einer Hand ein Bein zu greifen, denn dann „gibt ein Esel dem anderen die Hand“. Auf diese Idee kommen eine Menge Läufer vor uns auch. So, nun dürfte heute ja wohl nichts mehr schief gehen. Beglückt begeben wir uns zum Start, wo sich heute über 1000 Marathonläufer beim Markt der Möglichkeiten präsentieren werden.

Der Start

Für die Marathonläufer fällt der Startschuss für den 7. swb-Marathon, allein das ist ja schon eine Glückszahl, um 9:45 Uhr. Bis dahin betrachten wir uns noch die Läufer auf ihrem Weg zum entsprechenden Startblock. Auf den Startnummern kann man nicht nur den Namen lesen, sondern auch das Alter und am interessantesten: die selbst eingeschätzte Zielzeit. Wir bekommen ja fast Komplexe. Danach würde kaum ein Läufer über 4 Stunden unterwegs sein. Wie fast immer, stellen wir uns ganz hinten ins Starterfeld als auch schon der Startschuss fällt. Die Atmosphäre ist entspannt als wir in die Obernstraße laufen auf der früher Pferdebahnen fuhren. Von 1821 bis 1824 wohnte hier die Serienmörderin Gesche Gottfried und in der „Rathsapotheke“ soll sie ihr Gift gekauft haben. Die Straße gehörte zu den ersten Hauptstraßen des mittelalterlichen Bremens. 1157 wurde sie erstmals als „superior platea civitas“ erwähnt. Sie ist Teil einer weitläufigen Fußgängerzone und damit die Haupteinkaufsstraße der Bremer. Die Firma Karstadt betrieb schon 1902 hier ein Warenhaus.

Bremer Straßenmusikanten heizen uns ein. Stadtmusikanten gibt es seit dem 14. Jahrhundert in Bremen. Selbst der Großvater von Udo Jürgens ließ sich von den Musikanten inspirieren und uns motivieren sie heute. Jetzt sind wir am Brill. Es ist ein zentraler Platz in Bremens Mitte. Die Brauerei Beck und Co. ist durch das dort gebraute Becks Bier weltbekannt. Der Platz ist eine stark befahrene Kreuzung, aber die Polizei regelt die „Vorfahrt“ für uns. Der Brill war im Mittelalter bis zum 16. Jahrhundert eine Pforte in der Bremer Stadtmauer. Die Bezeichnung Brill bedeute damals Loch oder Öffnung, zum Beispiel Abortöffnung. An der Strecke sind heute für uns allerdings eine Reihe von Plastikhäuschen aufgestellt worden.

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KM 1: Im Mittelalter befand sich ein erster Hafen in der Balge, die durch den Schnoor floss. Später wurde dieser Hafen an die Schlachte am Weser-Ufer verlegt. Da die Weser immer mehr versandete, entstanden schon bald große Probleme. Und so wurde ein neuer Hafen in Vegesack im Norden der Stadt angelegt. Die einfachste Art die Bremer Häfen kennen zu lernen, ist mit einer Hafenrundfahrt. Die Schiffe starten am Martinianleger und daher sind hier überall viele Touristen unterwegs.

KM 2: Wer knorrige alte Bäume liebt, der findet sie in den Bremer Wallanlagen. Hier steht auch die 200 Jahre alte Baumhasel. Der ursprünglich aus Kleinasien stammende Baum überlebte nicht nur die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs, er trotzte auch einer Windhose, die 1993 schwere Verwüstungen in den Wallanlagen anrichtete. In den 50er Jahren, so ist zu lesen, füllte man ein Loch im unteren Stamm mit Beton aus. Wer das überlebt…

Bei KM 3 kommen wir zum Wahrzeichen der Wall-Anlagen: Der holländischen Galeriemühle. Sie ist die einzige von ehemals 12 Mühlen, die heute noch existiert.

Fahrrad- und umweltfreundliche Stadt als Ziel

Bremen möchte fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands werden und ist damit auf einem guten Weg. Bei KM 4 passieren wir eine Fahrradzählstadion. Die über Zählspulen im Boden erfassten Zahlen sollen Radverkehrsströme erkennbar machen und feststellen, wie viele Radfahrer in Bremen stündlich, täglich, monatlich und jährlich unterwegs sind. Auf der installierten Anzeigesäule gibt es sogar ein „Dankeschön“ an die Fahrradfahrer – für ihren Beitrag zum Umweltschutz.

Bei KM 6 laufen wir auf das Hotel Kuhhirten zu. In der Nähe befindet sich auch eine kleine Weser-Fähre. KM 8: Habenhauserdeich. In den 1930er Jahren wurde dieser Deichabschnitt vorverlegt und begradigt. Auf dem so gewonnenen Bauland wurden Kasernen gebaut (Niedersachsendamm), die heute allerdings zu einem guten Teil zivil genutzt sind.

KM 10: Holzdamm – wir sind knapp eine Stunde unterwegs. Die Strecke motiviert. Ganz anders als in Berlin. Wer die Bremer – nur weil sie im Norden leben – für unterkühlt hält, wird heute eines Besseren belehrt. Stimmung pur, auf eine angenehme Art und Weise. Überall höre ich Bremer Stadtmusikanten. Wunderschön ist hier das Nah-Erholungsgebiet Werdersee. Einige hundert Meter kann ich neben der Strecke auf einem Trampelpfad laufen und das tut den Füssen gut. Alle 2,5 Kilometer bekommen wir Schwämme, Getränke und Verpflegung von sehr freundlichen Helfern gereicht.

Wisst ihr eigentlich was Bremer Klaben, Knipp oder Bremer Kluten sind? Da kommt mir doch eine Idee: Ich könnte ja mal über regionaltypische Gerichte an Verpflegungsstationen diverser Marathonläufe berichten.

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Bei KM 11 erwartet uns ein größerer Grünabschnitt mit Ausblick auf die Weser. So schön das hier ist, aber auch hier müssen die Anwohner mit den Landeanflügen der Flugzeuge auf den Bremer Flughafen leben. Nun laufen wir schnurgerade auf das bereits 1905 erbaute SWB-Kraftwerk Bremen-Hastedt zu und kommen zum Weserwehr. Das Bremer Weserwehr wurde 1993 in Betrieb genommen. Es ersetzt das alte Wehr von 1911. Von weitem dröhnt aus großen Musikboxen „Highway to Hell“. Stimmt, das ist hier wohl auch der höchste Anstieg der gesamten Strecke. Ich find´s einfallsreich dort so musikalisch „hochgepeitscht“ zu werden. Hier kann ich doch meine antrainierte Bergstärke mal so richtig ausspielen. Noch höher ist nur der Hügel der Mülldeponie in Bremen-Blockland mit 49 m ü. NN.

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Wir sind bei KM 15. Wahrscheinlich begeben sich nun die Halbmarathonis auf die Strecke. So langsam kommen wir zur Kurfürstenallee. Der schnellste Marathonläufer wird nach rund 2:30 Stunden im Ziel erwartet. Anstatt auf Marathon-Weltstars, wie in der Hauptstadt, konzentriert man sich hier auf die Top-Läufer der Hansestadt und dem niedersächsischen Umland. KM 18. Wow, was passiert hier? Die Strecke führt durch eine Unterführung und da unten geht’s ab. Laserdisco und DJ. Bei 20 KM biegen wir in die Marcusallee. Da fällt mir mein Kollege ein. Denn auch wer es eher technisch-deftig mag, der kommt in Bremen auf seine Kosten. Werder, Beck’s, Mercedes…

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Um den Pudding gehen

In Bremen geht man gern um den Pudding, sagt eine Redewendung. Na denn, gehen wir doch noch mal um den Pudding auf die nächsten 21 Kilometer und gleich hinein in den Rhododendronpark. Auf einer Fläche von über 35 ha mit Mischwald befinden sich Anpflanzungen mit über 1600 Arten. Dort sollen Züchtungen zu sehen sein, die bis zum Jahre 1849 zurückreichen.

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Bei KM 23 kommen wir auf die Universitätsallee. Die Universität Bremen ist eine der jüngeren staatlichen Universitäten Deutschlands. Direkt an der Bremer Uni strahlt die Sonne auf den futuristischen silbernen Wal des Universum-Science-Center. Dort versucht man den Geheimnissen des Universums auf den Grund zu kommen. Auch DEN amerikanischen Traum gibt es in Bremen: Ein Reisebüro für reiche Hobby-Astronauten. 20, 30, 40 Millionen teure Ausflüge zur Raumstation kann man hier buchen. Ich lauf lieber mal weiter, durch die Parkallee in Richtung Bürgerpark. Der Park ist eine ehemalige Viehweide, die lange Zeit brach lag.

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Hier kann man glatt vergessen, dass man sich fast in der Stadt befindet. Gutsherrin Emma von Lesum hat Bremen eine wunderbare Legende geschenkt, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts erzählt wird. Im Jahr 1032 brauchten die Bremer Bürger dringend Weideland und baten die verwitwete Gräfin um Hilfe. Sie versprach ihnen so viel Weidefläche, wie ein Mann in einer Stunde umrunden könne. Das passte dem Bruder, der Angst um sein Erbe hatte, ganz und gar nicht. Der Bruder wollte wenigstens den Mann aussuchen, der die Strecke ablaufen sollte und wählte einen Krüppel ohne Beine aus. Die Gräfin segnete den Mann und betete für ihn, und so kroch er los und umrundete, von der Menge angefeuert und unterstützt, eine riesige Fläche, die damit als Bürgerweide in die Legende einging. Wer dem Bremer Roland auf die Füße schaut, sieht ein Bild des Krüppels, das die Bremer aus Dankbarkeit dort in Stein meißeln ließen. Irgendwann fange ich an die Kilometer runter zu zählen. Jetzt haben wir nur noch 14 Kilometer vor uns und ich habe gerade einen „toten Punkt“ erreicht. Apropos:

Mysteriöse Todesfälle und die letzte öffentliche Hinrichtung

In den Kellergewölben des Doms liegt eine bunt gemischte Gesellschaft von acht Mumien in ihren Särgen. Darunter unter anderem eine Lady aus England sowie ein schwedischer General. Die mumifizierende Wirkung dieses Kellers wurde vor 500 bis 600 Jahren entdeckt. Oder: Zwischen Rathaus und Dom wurden 35000 Zuschauer Zeuge, wie ein Scharfrichter der Massenmörderin Gesche Gottfried am 21. April 1831 mit dem Schwert den Kopf abschlug. Er wurde später in Formalin eingelegt und öffentlich zur Schau gestellt. Dies war die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen. An Gesches Hinrichtung erinnert der Spuckstein in etwa 20 Meter Entfernung vom Brautportal des Doms. Man geht leider achtlos drüber hinweg. Dabei bringt es angeblich Unglück, auf den unscheinbaren Pflasterstein mit eingeritztem Kreuz zu treten. Zum Glück laufen wir daran aber nicht vorbei.

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KM 31: Toll, ein bisschen erinnert mich das hier an das neugebaute Hafengebiet in Buenos Aires. Alte Handelsspeicher, Hafenpromenaden und neue Architektur vereinen sich hier zu einem Ganzen. Hier erfolgt die Umnutzung des 1950 als Lagerhaus errichteten „Speicher I“. Heute würden Esel, Hund, Katze und Huhn sicherlich in einem der neuen Flusshäuser im mondänen Loft-Look am Weserufer wohnen. In der Überseestadt entstehen zwischen den alten Speichern immer mehr moderne Wohnhäuser, vor deren Balkone die Schiffe vorbeiziehen. Herrschaftlich und schmal stehen die Altbremer Häuser da. Die Preise liegen bei 3000 EURO pro Quadratmeter und selbst eine renovierungsbedürftige Villa bringt es hier auf 800000 EURO.

Auch hier motiviert ein Moderator die Läufer auf ihrem Weg. Ein Läufer, der ständig einige Schritte hinter mir war, überholt genau jetzt. Wahrscheinlich möchte er vor uns an dem Moderator vorbei kommen. Er kann ja nichts dafür. Männliches Imponiergehabe ist nach Ansicht der Forscher ein Erbe der Evolution: ein Signal an die Frauen, dass hier ein starker Beschützer gesundes Erbgut weiterzugeben hat. Aber irgendwie sind hier alle sehr nett und zuvorkommend. Vielleicht, so denke ich mir, liegt das an dem Domverwalter Adolph Freiherr von Knigge, den man auch als Benimm-Autorität kennt und der 1796 im Bremer Dom beerdigt wurde.

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Bei KM 34 kommen wir an die sogenannte „Schlachte“. Der Name kommt von slagte, also vom Einschlagen der Uferpfähle. Die Schlachte gilt heute als Gastronomie- und Biergartenmeile und bei diesem fantastischen Wetter sind heute restlos alle Tische besetzt. Zahlreich sind die Bremer an der Strecke und feuern auch die letzten Läufer noch einmal so richtig an. Lange laufen wir an der Weserpromenade. KM 36 wir sind an der Teerhofbrücke. Die Mittagssonne brennt, keine frische Brise weht!

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Gesundheit und Glück sind eng miteinander verbunden. Wer sich fit und gesund fühlt, behauptet von sich auch, glücklich zu sein. Auch Sport ist ein Glücksfaktor. Bei manchen Halbmarathonläufern bin ich mir da nicht so sicher. Jetzt überholen wir einen, der macht es richtig. Gemütlich geht er zur nächsten Verpflegungsstelle. Auf seinem Laufshirt steht „Hetz mich nicht!“.

Wie ein Feuerwerker seine besten Böller zum Schluss auspackt, so setzt der Organisator hier noch einen drauf: Genau bei Kilometer 38 erwartet uns eine weitere Besonderheit. Wir werden mitten durch das Weserstadion geführt und laufen direkt an den Trainerbänken vorbei. So was habe ich noch nicht gesehen, was für ein Rasen! Und das Stadion, wirklich beeindruckend. Ich setze mich auf die Trainerbank und jetzt fehlt eigentlich nur noch Werders Boss Klaus Allofs. Als Teenager hatte ich ihn als Poster aus dem Kicker Magazin in meinem Kleiderschrank hängen – aber nur für ein paar Wochen.

Meine Träumerei endet abrupt, als auch hier ein Moderator zum Weiterlaufen motiviert. Am Stadion befindet sich übrigens auch die größte und leistungsfähigste Solaranlage, die derzeit in eine Sportstätte integriert ist – und das europaweit. Während wir uns noch über das eben erlebte unterhalten, passieren wir auch schon KM 40 und 41.

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Schon von weitem hört man die Stimme des Sprechers im Zielbereich. „Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat, und hinter sich ließ das Meer und die Stürme, und jetzt so warm und ruhig sitzt. Im guten Ratskeller zu Bremen. Wie doch die Welt so traulich und lieblich im Römerglas sich widerspiegelt, und wie der wogende Mikrokosmos, sonnig hinabfließt ins durstige Herz!“ Dies Gedicht schrieb Heinrich Heine bei seinem Aufenthalt im September 1826 im Ratskeller in Bremen. Könnte doch sein, dass er das Gedicht nach einem Volkslauf in Bremen verfasst hat, oder?

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So kurz vor dem Ziel fällt niemand mehr in ein mentales Loch, aber vielleicht in das Bremer Loch? Das Bremer Loch. Eine der jüngsten Bremer Sehenswürdigkeiten. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Gullydeckel. Tatsächlich aber handelt es sich um ‚Deutschlands erste unterirdische Spendendose‘. Das ‚Loch‘ ist ein Projekt der Wilhelm-Kaisen-Bürgerhilfe, die das Geld an unterschiedliche Einrichtungen weiterleitet. Pro Jahr kommen auf diese Weise über 15.000 EURO zusammen. Und der Einwurf lohnt: bei jeder noch so kleinen Spende ertönt wildes Geschrei der Bremer Stadtmusikanten.

Wie kann man besser das besondere Flair und die kulturelle Vielfalt der 1200 Jahre alten Hansestadt Bremen erleben, als bei einem Marathonlauf? Rathaus, Roland, Stadtmusikanten: die großen Bremer Wahrzeichen und UNESCO-Weltkulturerbe zeugen von einer bewegten und sagenhaften Vergangenheit.

Der Roland ist das Ziel! Im Vergleich zum Hamburg- oder Berlinmarathon wirkt der Marathon in Bremen eher klein. Dennoch spielt er im Konzert der Großen mit. Die ganze Stadt ist eine Freilichtbühne und alle Läufer spielen auf ihr heute eine Hauptrolle. Mit tosendem Applaus der Zuschauer und einem herzlichen Willkommen des Moderators erwartet uns ein Spalier junger Cheerleader und wir bekommen unsere Medaille überreicht und Roland zwinkert zu uns hinüber.
Kühlende Getränke und leckere Speisen erwarten uns im Zielbereich. Wir erleben es gerade wie Joachim Ringelnatz 1924 der ebenfalls in die Bremer kulinarischen Genüsse kam: „Bin faul und mäste mich“, „Denn diese Stadt ist echt, und echt ist selten“

Fazit:

Jeder wird belohnt, der auszieht, sein Glück zu finden und wach geküsst zu werden. Die Siegerehrung findet auf einer Bühne ebenfalls direkt am Marktplatz statt. In der Mitte des Pflasters könnte man das Hanseatenkreuz sehen. Heute jedoch nicht und gestern auch nicht. Der Platz ist so beliebt wie der Markusplatz in Venedig. Alles Schöne, das man bei einem Marathon-Sightseeing sehen möchte, liegt dicht beieinander. Im Umkreis von 50 Metern befinden sich bereits die Duschwagen und ebenfalls in Sichtweite ein schönes Café. Während wir hier noch gemütlich sitzen, beginnt der Anpfiff beim Fußballspiel Hannover gegen Werder. Daher konnte ich Klaus auf der grünen Bank nicht treffen. Gut gelaunt und glücklich, gewünschtes „Glück gehabt“ zu haben, gönnen wir auch den Bremer Spielern heute den Erfolg, auf dass die Bremer auch im nächsten Jahr wieder zu den glücklichsten Deutschen gehören.