Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Indoor-Marathon Nürnberg 2012

Work-Life-Balance

 

Platz da, ich muss zur Arbeit! Das Kostüm in der Reinigung, Laufmaschen in den Nylons und die Schuhe nicht geputzt. Macht nichts, brauche ich heute nicht. Ich werfe mich in den für den Anlass passenden Dress und hetze aus dem Auto hinein ins Bürogebäude.

 

 

 

 

Dort herrscht Ausnahmezustand. Nichts ist, wie es sein sollte. Menschen hasten über Treppen und durch Gänge. Die Rhythmen der Sambaklänge heizen ein, Versuche, die laufenden Mitarbeiter zu beruhigen, gehen daneben, es geht drunter und drüber – Verbündete werden zu Gegnern…

Du musst mitlaufen, darfst keine Schwäche zeigen, kein Zögern. Wenn dir eine(r) den Weg abschneidet, weil es ihm (ihr) egal ist, ob er dich umrennt oder nicht, dann musst du ruhig bleiben, musst einfach ausweichen und weiterlaufen. Fluchen bringt hier nichts, weil es keinen interessiert, ob du fluchst oder nicht.

Karriereträume

Wir sind beim Indoor Marathon am Hauptsitz der LGA in Nürnberg. Einmal im Jahr wird das LGA Gebäude vom Muff des Alltags befreit. Die LGA ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Prüfung von Standsicherheitsnachweisen. Ich sag nur „Stiftung Warentest“. Klar, dass der TÜV bei seinen Zertifikaten strenge Kriterien und Normvorgaben zugrunde legt. Gilt es doch, Qualität mit Brief und Siegel zu belegen.

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Was hier und heute von uns erwartet wird, liest sich wie eine Stellenanzeige: Hohes Engagement und Ehrgeiz! Ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Teamfähigkeit, besonders in schwierigen Situationen, z. B. bei Begegnungen im Treppenhaus . Eines sollte man aber in jedem Fall auch noch mitbringen: Begeisterung (und gesunde Kniegelenke). Denn die begehrte TÜV Rheinland Prüf-(Medaille) erhält der, der es schafft, zweitausendvierhundertzwanzig Treppenstufen und vierhundertfünfundfünfzig Höhenmeter zu überwinden – auf einer Distanz von 42,195 Kilometern und über zwei Ebenen durch das Verwaltungsgebäude des TÜV.

Die Auszeichnung „geprüft und für gut befunden“ erhält der, der nach 55 Runden das Ziel erreicht. Aber nur der fitteste, durchtrainierteste und taktische Cleverste wird am Ende das Rennen um das heißbegehrte (Sieger)Treppchen machen. Und wer weiß, vielleicht erhöht das die Beförderungschancen für den, der hier gewinnt?

Casual-Sunday

Die Teilnehmerzahl auf der Marathonstrecke ist auf 120 Teilnehmer begrenzt. Die erste Hürde der Bewerbung ist, wenn auch nur knapp, geschafft. Durch das Nachrückverfahren von der Warteliste, erfahren wir erst zwölf Tage vor Beginn des Marathons von einer Teilnahme. Für eine präzise Vorbereitung viel zu spät. Mit der Erfahrung aus dem Jahre 2006 trauen wir uns aber trotzdem.

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Die Straßen im Industriegebiet bei Nürnberg wirken verlassen. Die Büros verschlossen, die Wände der Gänge strahlen weiß, die Türrahmen dunkelblau-metallen. Auf dem hellgrauen Nadelfilz im Foyer drängeln sich Lauftreffgruppen, Einzelläufer und Schaulustige. Was sind das für Menschen, die heute an einem Sonntag freiwillig Überstunden machen? Wie an einem normalen Arbeitstag sind sie alle hier, die Arbeiter und Angestellten, Emporkömmlinge und Freelancer.
Wie aus einem Großraumbüro schallen Dialekte, fränkisch, schwäbisch, bayrisch und österreichisch, zu mir herüber. Bayern3-Moderator Markus Othmer unterbricht das Gruppenmeeting und ruft die Bürogemeinschaft zum Betriebssport auf. Es ist Sonntag, 11:00 Uhr – das „hochfahren“ meines Organismus‘ fordert mir heute einiges ab. Am liebsten wäre ich noch ein paar Stunden auf Standby geblieben. Plötzlich die Wendung.

Versuchsobjekte im Treppenstufentest

Als riefe jemand „Feuer“, stürzen die Prüflinge des Marathons aus dem Foyer der Ebene 1 los. Zeitgleich starten die Halbmarathonläufer von der Ebene O. Miteinander, nebeneinander oder gegeneinander? Aus den noch eben friedlichen Kollegen, sind Kollegenhasser geworden, jeder ist auf seinem eigenen Karrieretrip.

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Mit vollem Körpereinsatz geht es über grauen, hochbelastbaren Nadelfilz hinweg, durch geöffnete Feuerschutztüren, vorbei an blauen Türrahmen mit verschlossenen Türen, weiter durch dezent beleuchtete Gänge. Vor uns das Treppenhaus im schmalen Format. Drinnen ein entsetzliches Bild: Überall Läufer – sie stehen dem Weiterkommen im Wege. Jeder versucht über die Treppe nach unten ins Souterrain zu laufen. Immer tiefer hinein in das Gebäude aus Beton und Stahl. Unten angekommen, 180 Grad Kurve und hinaus auf einen anderen Gang der Ebene O. Der Gang ist lang, nur manchmal wird er kurz unterbrochen durch einen Schlenker auf den parallel sich ziehenden Gang.

Noch herrscht ein gutes Betriebsklima. Ich schaue durch ein Fenster hinaus zum Hof. Draußen: Regen und Wolken, die stürmisch dahinziehen. Drinnen macht sich der Klimawandel bemerkbar: Die Tropfen der schwitzenden Läufer schimmern auf dem hellgrauen PVC. Die Plastiksohlen der Laufschuhe quietschen bei jedem Schritt auf dem Boden und die trockene Luft kratzt wie Sandpapier in meinem Hals. Genau richtig kommen wir in den Arbeitsbereich mit Rutschgefahr. Nicht nur durch den Schweiß kommt es hier zu Feuchtigkeitsansammlungen, die sofort den Sicherheitsbestimmungen entsprechend aufgewischt werden, sondern auch durch das ausschwappende Wasser aus dem Getränkebecher. Alle Gefahrenstellen sind hier gesichert. Man könnte fast glauben, man wäre im Verkaufsraum eines Möbelhauses.

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Nach der Rechtskurve geht es wieder durch einen Flur entlang, bis es plötzlich wieder scharf nach rechts ins nächste Treppenhaus geht. Knapp einen Meter Breite zwischen Wand und Treppengeländer, drinnen Geschiebe und Gestämme. Die Hand auf das von den anderen Läufern nassgeschwitzte Geländer gelegt, den Kopf in den Nacken und den Blick nach oben. Da muss man durch. Bald ist jeder von jedem eingekesselt – eingeklemmt im rettungslos überfüllten Treppenhaus. Unfreiwillig bin ich so in die Rolle des Blockierers geraten. Jeder kennt die Kollegen, die mit dem Halbtagsjob rücksichtslos ihre Ellenbogen ausfahren. Über so etwas kann man hinwegsehen – oder sich mit einer Gemeinheit rächen. Keuchend und mit rasendem Puls ist die letzte Stufe erreicht. Wieder eine scharfe Rechtskurve, wieder durch einen Flur und schon ist man fast wieder am Zugang zum Foyer.

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Was wir nicht zu sehen bekommen: Schreibtische mit Computern und Druckern, denn die Gänge sind abtrasiert. Nicht, dass wir vielleicht noch in die Chefetage laufen. Das hätten wir aber dann sicherlich bemerkt, denn: Je höher man kommt, desto dicker wird der Teppich. Ein Siegertyp läuft niemals gedankenverloren und schon gar nicht ziellos über den Flur. Niemals direkt an der Wand entlang, das machen nur die Jogger. Die Ambitionierten stürmen den Mittelstreifen und müssen komischerweise nie auf eine Toilette. An denen fehlt es hier nicht. Sie vermitteln ein Gefühl der Sicherheit. Dabei bleibt die Nutzung jedoch stets unverbindlich und zeitlich flexibel.

Auf den ersten Runden ist es am sichersten, wenn man genau das Tempo läuft, das die anderen Läufer vorgeben. Rasend geht es zwischen zwei große gelbe Ohren (BiB-Gates) hindurch. Sie dienen der genauen Zeitmessung der Büroläufer. Mithilfe des Transponders, der in die Startnummer integriert ist, erscheint, wenn auch nur für einen kurzen Moment, der eigene Name, die gelaufene Zeit, die Platzierung und die noch zu laufenden Runden auf einer großen Leinwand.

Auf den ersten Runden kann ich meinen Namen noch nicht erkennen. Nach einigen Runden dann schon. Und was ich da sehe, spornt mich an. Schon rutschen andere Namen und Zeiten nach, wie die Börsenmitteilung auf N-TV in der Dauerschleife. Die Läufer genießen den spektakulären öffentlichen Auftritt hier im Foyer vor staunendem Publikum und mächtiger Stimmung. Da will man als Zuschauer natürlich dabei sein, das muss man doch gesehen haben. Viele kommen regelmäßig, manche schauen einfach mal spontan herein.

Mehr Stufen als beim Empire State Run in New York

Zum Vergleich: die Treppe des Empire State Buildings hat 1578 Stufen, das heißt: Hier werden 800 Stufen mehr gelaufen (!). Seit den 1970er Jahren gibt es bereits Treppenläufe als Wettkämpfe. Der König der Stufen ist Thomas Dold. Thomas fungierte erst kürzlich beim Frankfurt Marathon als Pacemaker für Lisa Hahner, schnellste Deutsche (2:30:37 Stunden), und beim Berlin Marathon für ihre Zwillingsschwester Anna, dort ebenfalls schnellste Deutsche (2:31:32).

Aber Thomas ist nicht nur Pacemaker für die Hahner-Zwillinge. Seinen Namen hat er sich als Treppen- und Rückwärtsläufer gemacht. Auf Mallorca beim Marathon 2011 versuchte mich Thomas vom Rückwärtslaufen zu überzeugen, ich gab jedoch schon nach wenigen Metern auf (siehe Bericht marathon4you). 2012 wurde ererneut Sieger in New York beim „Empire State Building Run-up“, übrigens zum siebten Mal in Folge. Die Kombination von Treppen und langen Gängen ist also ein ideales Trainingsterrain.

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Denn ähnlich dem Berglauf werden bei einem Lauf mit Treppen die Kraft und die Ausdauer trainiert. Die Oberschenkel, die Oberschenkelrückseiten sowie die großen Gesäßmuskeln profitieren besonders davon. Wenn also am Montagmorgen die Beschäftigten des LGA durchs Haus rennen, dann sollte man Arbeit nicht mit Training verwechseln.

Jobsharing

Die vielen Minijobber, ich meine die Halbmarathonläufer, laufen uns nur so um die Ohren. Die machen für uns Marathonläufer einen guten Job. Unbewusst lässt man sich mitziehen und es gibt immer wieder neue Trikots auf der Strecke zu sehen. Es dauert eine Weile, bis ich erkenne, dass ich diese Läufer nicht nur am Tempo erkennen kann. Im Gegensatz zu uns, tragen sie nur eine Startnummer.

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Dann laufen da noch die Kollegen im Jobsharing, die sind clever, denn die teilen sich mit acht Personen die Marathonarbeit. Aber über 90 Prozent der heute hier laufend und nichtlaufend Beschäftigten sind Männer, Frauen stellen allerdings in den Teilzeit- und Nebenjobs wie überall deutlich die Mehrheit.

„Mahlzeit“

Es ist 12:30 Uhr. Mein Blick ist auf der Suche nach einer Büroküche mit Kühlschrank. Darin vielleicht die abgelaufenen Joghurts und die saure Milch der Kollegen? Ich gebe die Suche nach einer Kaffeemaschine oder der Kantine auf. Hier beschränkt man sich heute auf das Wesentliche: Fingerfood für die Laufkundschaft. Im Champagnerkübel die Äpfel und die Getränke in extra großen Bechern, angereicht von Damen mit roten bodenlangen Schürzen. Für die Gäste nur das Beste.

„Urlaub verdirbt den Charakter“

„Brüllt ein Mann, ist er dynamisch. Brüllt eine Frau, ist sie hysterisch“ (H. Knef). Hier herrscht noch die brutale Männerwelt, á la „Stromberg“; ich werde unsanft zur Seite gebrüllt. In Ordnung, irgendjemand muss ja heute die Führungsrolle übernehmen. Aber er hat an seiner Führungsrolle zu knabbern. Obwohl er schon vom Durchzug an die Unternehmensspitze träumt?

Auch auf den nächsten Stufen sieht es für den Vorgesetzten nicht besser aus. Zum zehnten Mal überrunde ich einen langsamen Kollegen. Ich frage mich, was er wohl die ganze Zeit über gemacht hat, vielleicht einen Kopierstau behoben? Der Kerl hat über seiner Laufhose eine Short mit einem nackten Hinterteil angezogen. Im vorüberlaufen sage ich zu ihm: „Jetzt weiß ich auch, wo das Wort Arschkriecher herkommt“. Da habe ich ja nochmal Glück, er lacht und weg bin ich.

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Ein anderer Läufer lässt mir beim Eintritt ins Treppenhaus den Vorrang, Leopold vom Eigner Express saust an mir vorbei und klatscht anerkennend. Gerhard vom Club Super Marathon Italia begleitet mich auf einigen Runden. Als wir wieder an der Leinwand mit der Dauerschleife vorbeikommen, ruft er freudig: „Hey, du bist die dritte Frau im Rennen“. Kurzatmig antworte ich ihm: „Was glaubst du denn, warum ich so renne?“.
Wer lacht, hat noch Reserven. Er ist für einige Runden mein Tempomacher, es gibt sie halt doch noch, die Gentleman unter den Läufern. Ein Gentleman der anderen Art ist Robert (Wimmer). Nicht zum ersten Mal betätigt er sich als Coach für die jungen Sportler der Down-Syndrom-Marathon-Staffel. Der Kleine neben ihm wetzt und macht Druck. Zum Glück hat er sich mit Robert ein läuferisch beeindruckendes Sahnestückchen ausgesucht. Beim diesjährigen Transeuropalauf (4.178 Kilometer in 64 Etappen) belegte er den 2. Platz.

27,5 Runden – Halbzeit

Die Probezeit ist bestanden, beziehungsweise die erste Hälfte der Runden ist gelaufen. Ich fühle mich wie ein Azubi beim Botengang. Rauf und runter und wieder rauf und runter.

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Facetten eines Büroalltags. Es geht etwas ruhiger zu, denn die meisten Halbmarathonläufer sind bereits im Ziel. Wie Geschosse jagen die Führenden immer wieder an uns vorbei. Manchmal passt keine Laufschuhsohle zwischen uns und ihnen. Trotzdem, durch diese Interaktion mit anderen Läufern fühle ich mich produktiver und motivierter, zumindest für einen kurzen Moment.

Noch 15, 14, 13 Runden. Hinter mir brüten zwei junge Männer gedanklich über ihre Rundendurchgangszeiten. Ich würde den einen gerne fragen, ob er Controller ist. Aber hier sind alle derart konzentriert bei der Arbeit, dass ich nicht stören möchte. Schon bin ich im Cash-Flow. Ich will nicht schuld sein, wenn der Leistungsschub plötzlich abreißt. Bei mir setzt er übrigens gerade ein: Ich habe auf einmal eine richtig gute Runde gelaufen. Eine, die ich mir wohl patentieren lassen sollte.

Geschäftspartner

„Ildiko ist als erste Frau auf der Marathondistanz im Ziel und Petra folgt ihr auf Platz 2“, übertönt der Moderator die unglaublich laute Stimmung im Foyer. Als ich über die Matte laufe ruft er wieder. „Die Riege der ersten drei Frauen komplettiert mit Platz 3 Andrea“. Auf einmal kurz im Mittelpunkt. Ich kann euch sagen, Gänsehautfeeling und Emotionen pur. Damit hatte ich bei dieser starken Frauenkonkurrenz nun wirklich nicht gerechnet.

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Petra zum Beispiel ist Langstreckenläuferin und durch ihre etlichen Teilnahmen am 100 Kilometerlauf von Biel und beim Langstreckentriathlon in Roth nicht nur viele Kilometer, sondern auch viel Erfahrung in den Beinen. Ildiko läuft selbst bei hochklassig besetzten Starterfeldern schon häufig als Erste über die Ziellinie. So zum Beispiel beim Zugspitz-Ultra-Trail (100 Kilometer, mit über 5000 Höhenmetern) 2011 und 2012. Besonderen Respekt habe ich vor ihrem zweiten Platz beim diesjährigen Transalpine-Run.

Überstunden

Später Nachmittag und 50 Runden beziehungsweise vier Stunden später. Draußen regnet es wieder. Die ersten Anzeichen für ein Läufer-Burn-out machen sich bei einigen bemerkbar. Meine Batterien sind leer, ich habe eine Energiekrise. Wie gerne möchte ich wieder Energiespitzenwerte erreichen, als nur wie eine menschliche Energiesparlampe herumzubummeln. Je anspruchsvoller die Tätigkeit, desto länger die Arbeitszeit. Ich male mir in den schwärzesten Farben aus, was passiert, wenn ich nicht weiterlaufe. Noch mehr Überstunden? Und was wird aus meinem dritten Platz? Schnell versuche ich im Kopf auszurechnen, wie viel fünf Runden in Kilometern sind. Aber in diesem Zustand auch noch rechnen? Es war mir die ganze Zeit egal, dann ist es jetzt auch egal. Komisch, hier rechnet man nicht in Kilometern sondern wirklich nur nach Runden und die „fliegen“ schneller vorbei, als die elenden Kilometerschilder.

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Außerdem herrscht nun eine entspannte Arbeitsatmosphäre. Jetzt jedenfalls kennt man sich. Glaubt man dem Karriereberater, dann schadet ein keiner Small-Talk auf dem Flur nicht, bloß habe ich jetzt den Anschluss an meine Gruppe verloren. Ich neige unfreiwillig zu Alleingängen. Der Blonde hat’s unterdessen aufgegeben. Er packt seine Sachen und verabschiedet sich mit einem kurzen Gruß in die Runde. Überall in den Gängen, sehe ich noch welche laufen, die einen haben auf den Müßiggang heruntergeschaltet, ruhig und gedämpft, Flüsteratmosphäre. Andere lassen es nochmal „krachen“. Ich bin auf Runde 54, die letzte für heute. Der Moderator heizt das Publikum an, mich auf der letzten Runde nochmal so richtig anzufeuern. Wieder Gänsehaut. Wahrscheinlich will er aber auch nur, dass ich mich beeile, damit endlich mit der Siegerehrung begonnen werden kann.

Zweitausendvierhundertundzwanzig

Das Kriechen und Siechen in der Büro-Welt ist schmerzhaft. Die letzte der zweitausendvierhundertzwanzig Stufen ist geschafft, noch eine letzte ungezählte Kurve, ein letzter Schluck Cola: dann kommt der ersehnte Zieleinlauf.

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Wer sagt, Büroarbeit sei eine belastungsarme Tätigkeit? Ich frage mich, wann ich das letzte Mal so geschwitzt habe? Apropos, wo sind die eigentlich? Während ich in der letzten Runde nochmal richtig in die Tasten gehauen habe, sind die beiden hinter mir wohl gegangen. Jetzt werde ich nie erfahren, ob der eine vielleicht ein Projektmanager oder nicht vielleicht doch ein Controller war. Schade. Eine letzte Kurve und ich laufe durch das Ziel. Ein halbes Dutzend Fotoobjektive halten diesen Moment auf Bildern fest. Den Oberkörper gebeugt, die Arme stützen sich auf den Hüften ab. Irgendwann strecke ich die Faust in Richtung Bürodecke. Jubel bricht aus.

Wohlbefinden im Büro

Ein (Lauf)Kollege ist ebenfalls im Ziel. Ich sehe nur, wie er wortlos zum Aufzug schlappt. Sorgen brauche ich mir um ihn nicht zu machen, denn es gibt einen Läuferbereich mit einer Chill-Out-Zone inklusive Massage, dazu Kaffee und Kuchen, was will Läuferherz mehr? Auch mein Gang ist träge. Nur noch zweiundzwanzig Treppenstufen und ein paar Schritte wären es bis zu den Duschen. Aber wer will schon duschen, wenn er gleich auf den roten Teppich darf und für diesen Lauf auch noch belohnt wird?

Während die Siegerehrung im vollen Gange ist, ziehen noch immer Läufer ihre Runden. Einige Helfer beginnen damit, Stühle beiseite zu stellen, denn um 18:00 Uhr ist hier Schluss. Das Büro, das heute kein Büro sein will, schließt. Nun haben alle Läufer Feierabend. Sonntagsarbeit kann ganz schön anstrengend sein…

Resümee: Verehrte Arbeitnehmer und Angestellte, sehr geehrte Arbeitgeber und Chefs, liebe Leser!
Wie viel Bewegung, wie viel körperliche Betätigung enthält Ihr normaler Arbeitstag noch? Die Wege ins Büro werden mit dem Auto zurückgelegt, zwischen Tiefgarage und Büro nimmt man den Aufzug. Dabei hat jedes Büro hat eine Treppe. Vielleicht ist der Indoor-Marathon ja eine Inspiration, statt dem Aufzug einfach mal das Treppenhaus zu nutzen? Und wer weiß, mit ein wenig Training sehen wir uns dann vielleicht beim Sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon in Radebeul (Ultra-Treppenlauf mit 39.700 Stufen, dazu insgesamt 8.848 Meter Höhenunterschied auf der doppelten Marathondistanz). Wenn ich das plant, sprecht nicht drüber. Sonst holt man am Ende noch den Betriebspsychologen.

Was man noch wissen sollte:

Veranstalter: TÜV Rheinland LGA Beteiligungsgesellschaft GmbH

Wettbewerbe: Marathon, Halbmarathon, Staffellauf-Marathon (8 TN je Staffel)

Ausrichter: Team Klinikum Nürnberg e.V.

Streckenprofil: Marathon 42,195 km (vermessen!) 55 Runden, 455 Höhenmeter (Treppenanteil) auf zwei Ebenen (Ebene 0 und Ebene 1)

Umkleide-/Duschmöglichkeiten: Im Erdgeschoss der LGA

Zeitmessung: BiB-Chip

Kosten Marathon: Für fünfzehn EURO gibt es auf jeder Runde „All you can eat“ mit Live-Musik

Weitere Veranstaltungen: Halbmarathon, Staffellauf

Auszeichnung: Goldmedaille, Funktionsshirt, Urkunde

Marathonsieger: (keine Altersklassenwertung)

Männer:
Wassiliew Jewgenij, 3:05:45 Stunden
Roland Rigotti, 3:07:04 Stunden
Frank Zocher, LAC Quelle Fürth, 3:12:42 Stunden

Frauen:
Ildiko Wermescher, Ft Jahr Landsberg, 3:39:41 Stunden
Petra Marton, LG DUV, 4:00:25 Stunden
Andrea Helmuth, marathon4you, 4:11:24 Stunden