Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Tour de Tirol 2012

Der Berg groovt

 

Die wichtigste Veranstaltung des gesamten Jahres steht für die Bergwacht und die Tourismusregion auf dem Spiel. Für den spektakulären Extrem-Berglauf im Kaisertal sind alle Vorbereitungen getroffen. Die Bergwacht, die für die Sicherheit zu sorgen hat, will den Lauf wegen eines aufziehenden Unwetters absagen, kann den Start aber nicht mehr verhindern… und vor sonst atemberaubender Bergkulisse kommt es am Gipfel im Schneesturm zu einer Katastrophe…

 

 

Wir sind am Schauplatz von TV-Serien und Filmen wie „Der Bergdoktor“, „Wilder Kaiser“ und „Ruf der Berge“. Für die Publikumslieblinge Bernie Manhard, m4you Autor sowie dem Ex-Skirennläufer und Volksmusikstar, Hansi Hinterseer, fiel im Rahmen der Tour de Tirol (TdT) 2010 die Klappe zu dem TV-Movie „Heimkehr mit Hindernissen“. Falscher Sender? Falsches Jahrzehnt? Nichts dergleichen: Bereits seit 2006, der 2. Ausstrahlung der Tour, sind Autoren von marathon4you mit dabei und machen Nahaufnahmen der Wirklichkeit. Jeder von ihnen erlebte dabei seine eigene Lauf-Anekdote.

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Kein Wunder also, dass sich im Laufe der letzten Jahre eine kleine Sammlung Kurioses und Wissenswertes über die Tour zusammentragen lässt. Schon fast zur Tiroler Legende wurde dabei Anton, nicht jener aus Tirol, aber der von m4you. Von 2006 bis 2009 glänzte er bei seinen Auftritten, selbst eine in den Marathonlauf integrierte Gondelfahrt konnte er noch erleben.

Aber nicht immer gab es ein Happy End. „Einmal musste es ja so kommen“ 2009 schreibt Klaus (Duwe) über die WMRA Long Distance World Challenge, die im Rahmen der Tour veranstaltet wurde. Der bis dahin siebenmalige Weltmeister im Berglauf, Jonathan Wyatt, musste seinen Kaiserthron einem anderen überlassen. Am freudlosesten erwischte es die Läufer 2011: durch den plötzlich einsetzenden Regen und die Schneeschauer entschied die Organisation, die Streckenführung kurzfristig zu verlegen und so wurde aus einem Marathonlauf am Ende „nur“ ein 28 Kilometerlauf. Klaus Sobirey sah daher den Gipfel der Hohen Salve nicht.

2008 fanden wir uns auf einem Foto in der österreichischen Kronenzeitung wieder, es war unser erster rotweißroter Berglauf. An meine ersten Worte auf dem 1.829 Meter hoch gelegenen Ziel, kann ich mich noch heute erinnern: „Niemals“, „Auf keinen Fall“.

Wer glaubt, aus den Alpen gibt es nichts mehr zu berichten, der irrt und wer glaubt, dass der, der sich für den Lauf interessiert, durch unsere Laufberichte präpariert, kaum mehr blauäugig in die TDT tappen kann, auch. Dieter Aufinger vom Veranstalter der Tour, fasst die ausgeklügelte Spieldramaturgie wie folgt zusammen: Gesucht wird der perfekte Läufer, einer der nicht nur flach laufen kann, sondern auch hoch. 10 Kilometer + 42 Kilometer + 21 Kilometer = 73 Kilometer an drei Tagen mit 2.200 Höhenmetern – eben mehr als nur ein Heimatfilm!

Man(n) trägt Pink

Wenige Stunden vor dem Beginn der Tour sieht man ihn überall. Mal ist er hier, mal ist er da, der OK-Chef und Triathlontrainer Martin Kaindl. Er wirkt durchtrainiert und gebräunt – Marke Naturbursche aus Tirol. Er trägt ein leuchtendes knallpinkfarbenes TDT-Shirt. Ich kenne wahrlich nur wenige Männer, die diese Farbe tragen können. Hier trägt es fast jeder, zumindest jede Helferin oder jeder Helfer. Und auf die wartet in den nächsten drei Tagen eine Menge freiwillige Arbeit, denn es gibt auf allen Distanzen neue Rekordquoten.

Freitag 16:00 Uhr

Grüne Luftballons erheben sich in den blauen Himmel, die frische Show der Jüngsten ist gestartet. Alle sind auf den Beinen, Familien mit Kleinst-, Klein- und größeren Kindern.

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Die Kids sind durchgestylt vom Triathlon-Einteiler, Salomon-Schuh bis zu Papas übergroßer Sonnenbrille. Mütter werden zu Hyänen, wenn es darum geht, den sechsjährigen Sohnemann an der Spitze der Startlinie aufzustellen. Wer zu Hause vor der Glotze sitzt, greift gelangweilt oder frustriert zu Chips, Flips und Co. Wer hier das Ziel erreicht, der bekommt zu den roten Wangen noch glänzende Augen, beim Anblick des 16 Meter langen Apfelstrudels, den ein einheimischer Bäcker in 400 Stücke teilt. Gierig wird er von den jungen Athleten verschlungen. Ob da für uns noch was übrig bleibt?

Freitag, 18:00 Uhr Tour-Prolog

Lauf-Fans warten auf ihre Favoriten, Angehörigen auf ihre persönlichen Stars. Aber wer sind die Stars? Die, die eine Etappe besonders schnell laufen, oder die, die sich die Kraft einteilen und am Ende den Toursieg in der Tasche haben? Am Start der Vorjahressieger Adam Kovács, der in diesem Jahr zeigen will, das er auch bei einen Berg-Marathon stark laufen kann (wegen der verkürzten Strecke war ihm dies 2011 nicht vergönnt) sowie die geballte Bergprominenz.

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Der Schweizer Patrick Wieser, sein letzter Erfolg war der beachtenswerte 4. Platz bei der Berglauf-WM im Rahmen des Jungfrau Marathons. Die Attraktion für alle Berglauffans ist und bleibt jedoch Jonathan Wyatt. Schon mehrmals gewann der sympathische Neuseeländer die Tour de Tirol, nun will der siebenfache Bergweltmeister seinen Kaiserthron zurückerobern. Der Rekordläufer hält den noch heute gültigen Streckenrekord von 2003 beim Jungfrau Marathon mit einer Fabelzeit von 2:49:02 Stunden.

Bei den Damen ist keine geringere am Start als Jasmin Nunige. Erst vor wenigen Wochen wurde sie in einem Weltklassefeld 6. beim Jungfrau Marathon und im vergangenen Jahr gewann sie die Tour. Auf die Frage, ob sie wisse, welche Konkurrentinnen am Start sind und wie sie ihre Siegeschancen für die Tour de Tirol sieht, antwortet die in Davos wohnhafte Schweizerin: „Ich habe mir die Teilnehmerliste noch nicht angeschaut, aber ich bin gut erholt und lasse mich überraschen“.

Queen und AC/DC statt Volksmusi‘

Überrascht sind wir auch, als der Moderator und die Beats aus den Boxen den Ort zum Beben bringen. An der Startlinie herrscht Konzentration, die Gesichter wirken angespannt. Entspannte Gesichter dagegen bei den Läufern am Ende des Starterfeldes. Der zehn Kilometer lange Rundkurs dient besonders dazu, die Läufer bereits am Freitagabend einem möglichst großen Publikum zu präsentieren, was jeder Läufer sichtlich genießt. Der ganze Ort ist auf den Beinen, keiner, so scheint es, sitzt vor dem Fernseher. Die Laufstrecke ist schnell erklärt. Vor uns liegen drei kupierte Runden à 3,25 km und auf jeder Runde müssen immerhin 74 Höhenmeter überwunden werden.

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Schnell sieht man, wer in den Bergen aufgewachsen ist oder viel in den Bergen trainieren kann. Alle anderen werden gnadenlos abgehängt. Noch bevor wir den ersten Kilometer erreicht haben, zählt das GPS der Uhr schon die ersten Höhenmeter.

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Vielleicht, so denke ich mir, wäre ein vorheriges Warmlaufen doch keine schlechte Idee gewesen? Von Anfang an ist das Tempo hoch, zu hoch? Wir benötigen mehr als eine Laufrunde um uns wohlzufühlen, dann aber rollt es einfach nur gut, ganz besonders bergab.

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Am Anstieg der zweiten Runde überholt uns schon eine Handvoll Spitzenläufer, wer darunter ist kann ich nicht erkennen, dafür waren sie einfach zu schnell. In der dritten Runde begleitet uns ein Spalier von Fackeln den Weg aufwärts bis zum Waldrand.

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Das Kaisergebirge glüht im Abendrot vor tiefblauem Himmel und auch die Hohe Salve, unser Ziel beim morgigen Marathon, liegt in der untergehenden Abendsonne und scheint bereits zum Greifen nahe. Im Wald blitzt es hell.

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Bitte lächeln – für den Fotograf! Müde Kühe blicken in die Kamera. Noch ein letztes Mal hinein in den Ort, einmal um die überdimensionale Erdinger Plastikflasche, noch eine letzte Linkskurve, ein letzter Schlussspurt, eine letzte scharfe Rechtkurve.

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Begeisterter Applaus trägt uns über den roten Teppich und den um einen Meter erhöhten Zieleinlauf durch den blauen Zielbogen.

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Direkt im Zielbereich befindet sich auch für drei Tage das Sportlerdorf der Tour. Hier liegt alles beieinander: Sportmesse, Taschendepot, Umkleiden und die Zielverpflegung. Nichts, was es hier nicht gibt, vom Erdinger bis zur Banane, aber das Beste: die Kids haben uns noch Apfelstrudel übriggelassen. An der Ausgabe des Finisher-Präsentes herrscht großer Andrang. Schnell werde ich unsanft zur Seite gedrängt. Ich habe Verständnis für den eiligen Läufer, sicherlich hatte er nur einfach Furcht, ich könnte ihm das letzte Paar 46er JOL-Laufsocken wegschnappen.

Der junge Ungar, Adam Kovács, ist auf der ersten Etappe mit 32:47 Minuten der schnellste Läufer und sicherte sich damit das „virtuelle“ Gelbe Trikot des Gesamtführenden. Zweiter wurde der Schweizer Patrick Wieser, er war nur 15 Sekunden langsamer als Kovács. Jonathan Wyatt folgt ihm mit knappen 4 Sekunden Abstand ins Ziel. Ein spannender Auftakt.

Liveübertragung des Kaisermarathons zur besten Sendezeit

Samstag, 7:00 Uhr das Leben erwacht langsam in den umliegenden Hotels, Pensionen und Wohnmobilen. Anziehen, cremen, jeder hat die immer gleichen Rituale, alles braucht seine Zeit. Es riecht nach frischen Brötchen, dazu etwas Nutella, Kaffee und Saft, nicht mehr. Die nächsten fünf, sechs Stunden werden wir heute unterwegs sein.

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Für manche mag es danach genug sein, die meisten jedoch werden weitermachen. Heute jedoch ist unser Ziel die Hohe Salve. Auf dem Marktplatz versammeln sich die ersten Läufer. Überall in dem Ort kommen immer mehr zusammen, man hat den Eindruck, das ganze Dorf sei auf den Beinen. Genau so müssen es sich die 50 Läufer und Fans erträumt haben, welche Jahr für Jahr aus Florida anreisen.

Überall sieht man Häuser mit überbordender Geranienpracht. Nicht umsonst brachte es dem Ort die Auszeichnung „Schönstes Blumendorf Österreichs“. Bei der Entente Floral 2013, hofft Söll nun auf eine weitere Auszeichnung. Mädchen in einheimischer Tracht spazieren durch gepflegte Gassen. Erst 1217 wurde Söll urkundlich erwähnt. In den 50er Jahren begann dann der Touristische Aufstieg. Bereits 1953 zählte man 250 Sommerfrischler, denen die Sommerfrische bald nicht mehr genügte. So wurde 1959 die Lift AG gegründet und der erste Lift auf die Hohe Salve gebaut.

Die Gesamtwertung der Tour entscheidet sich in jedem Jahr auf der längsten und schwierigsten Etappe dem Kaisermarathon in der Radfahrersprache auch Königsetappe genannt, denn die meisten Höhenmeter werden hierbei auf den letzten 3,8 Kilometern gelaufen.

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Der Massenstart des enormen 500 starken Statistenheeres ist spektakulär vor einer herrlichen Filmkulisse in Szene gesetzt. Die Musik heizt ein. Wie beim Starten einer Rakete wird der Countdown runtergezählt….three, two, one go. Es ist exakt 9:30 Uhr das Rennen um den Thron beim Kaisermarathon durch die Söller Fußgängerzone hat begonnen.

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Keine 50 Meter und wir laufen an dem geschichtsträchtigen Gasthof Post (heute unter Denkmalschutz) vorbei. Söll war zum Ende des 2. Weltkrieges in großer Gefahr – alle Fronten waren bereits gefallen – da befahl der Generaloberst, Ritter von Hengel, die von Wörgl kommenden amerikanischen Soldaten aufzuhalten. Kaum ein Bewohner blieb in seinem Haus, wer konnte der flüchtete in die Berge. Mitten im Ort wurde die letzte Verteidigungslinie aufgebaut und dabei kam es zu einem Gefecht. Einige amerikanische Panzer wurden abgeschossen, kurz darauf wurde das Feuer eingestellt und eine größere Katastrophe konnte verhindert werden. Die letzte Gruppe der Deutschen Wehrmacht ergab sich am 7. Mai 1945 in der Stube des Gasthofes Post. Ein kleiner Ort mit einer kriegsgeschichtlichen Berühmtheit.

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Weiter laufen wir den ersten Kilometer immer leicht aufwärts bis zur ersten Labestation, direkt vor dem vier-Sterne-Hotel Alpenschlössl. Wer zu schnell und zu viel ins Schwitzen gerät, verpulvert Elektrolyte und Energie. Rasch muss nachgeführt werden, mit Wasser, Salztabletten und Magnesiumpulver.

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Der Herbst ist da, nicht nur die Blätter fallen von den Bäumen auch die Filme im TV und das Lesematerial in den Büchereien werden düsterer: Tragische Familiendramen, tödliche Rachefeldzüge und grausame Verbrechen verdrängen die sommerlichen Komödien. Jeder bereitet sich anders auf einen Marathon vor. Meine Vorbereitung besteht aus viel lesen und wenig laufen. Für euch heißt das, wir werden lange unterwegs sein und ich kann viel erzählen. Keine Angst, Heike, so schlimm wird es schon nicht werden. Aber eine Geschichte muss ich unbedingt loswerden: Die von der der Kröte auf der Hohen Salve. Der Berg also, an dem sich unser heutiges Ziel befindet.

Aber was zieht eine Kröte zur Hohen Salve? Die Krötenwanderung? Nein, diese Erzählung handelt von einem jungen attraktiven Mann (nur weil er jung ist, muss er nicht unbedingt gutaussehend sein), dieser war es offenbar, der im irdischen Leben jedoch arbeitsscheu und verzogen war. Er lebte nach dem Gelüst des Augenblicks und schloss sich bald darauf Gangstern und Halunken an, was im zum gesuchten Verbrecher machte. Man spürte ihn auf und trieb ihn in die Enge. Mit der Schlinge um den Hals am Galgen, legte er angsterfüllt das Gelübde ab. Wenn ihm Gott hülfe, dem Gericht zu entrinnen und irgendwo ein neues, ehrbares Leben anzufangen, so wollte er eine Wallfahrt zum Johanniskirchlein auf der Hohen Salve tun. Am Fuße des Großen Pölven laufen wir auf einem Teilstück des Sinn- und Energieweges zurück Richtung Söll. Wieder zurück in der Gemeinde von Söll sind wir bereits über sieben Kilometer unterwegs.

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Die Favoriten belauern sich auf der Etappe auf die Hohe Salve. Fast vergas ich die Geschichte des Jünglings weiterzuerzählen: Der liebe Gott jedenfalls erhörte sein Gelübde und er wurde nicht erhängt. Die Jahre vergingen und aus dem jungen Mann wurde ein alter Mann. Die Wallfahrt zur Hohen Salve hat er nie getan, er hatte sein Gelöbnis vergessen – bis er starb. Zur Buße musste er nach seinem Tode fortan in der Gestalt einer Kröte geistern (bis ins Mittelalter galt die Kröte als hässlichstes Tier der Welt, für viele galt sie gar als das hässlichste Tier der Schöpfung), bis er es fertigbrächte, die Wallfahrt nachzuholen und auf die Hohe Salve zu kriechen.

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Was für ein Zufall, wir haben denselben Weg. Dass wir am Ende auch nur noch kriechen würden, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht. Tatsächlich werden (wenige) der Agierenden das Ende des Laufes nicht erleben, andere aber auch nicht glücklich werden. Besonders hart trifft es heute uns. Bereits nach 14 Kilometern auf der Strecke muss Kay eine große Blase an der Ferse versorgen. Das österreichische Rote Kreuz ist gleich zur Stelle, dennoch haben wir schnell einen deutlichen Rückstand auf das Mittelfeld.

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Sanft ansteigend führt die Strecke weiter bis nach Scheffau. Das Wetter und die umliegenden Berge vor dem blauen Hintergrund sind einfach nur kitschig schön. Imposant ragt der Wilder Kaiser in der Ferne auf. Sein Felskamm scheint über das Gebiet zu herrschen. Eine Legende erzählt, dass ein Ausruf von Kaiser Karl V. wohl für den Namen verantwortlich ist. Angeblich hat der majestätische Anblick die Worte: “Lang, wenn ich nicht mehr bin, wirst du noch Kaiser sein“ ertönen lassen.

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Kurz vor Ellmau laufen wir durch eine Unterführung und irgendwann kommen wir an zwei Pferdekutschen vorbei. Sie stehen dort als ob sie darauf warten, dass einer von uns Läufern einsteigen wird. Verlockend ist das schon.

Zweite Hälfte – jetzt schlägt die Stunde(n) der Berg-Experten

Bereits im ersten (richtigen) Anstieg nach ca. 21 Kilometern führt die Strecke zum 1.555 Meter hohen Hartkaiser, der sich noch unterhalb der Baumgrenze befindet. Es ist ein Berg der zweithöchsten Kategorie bei dieser Tour. Wir sind an der Talstation der Standseilbahn der „Skiwelt Wilder Kaiser Brixental“ angelangt.

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Die Hartkaiserbahn rattert an uns vorbei nach oben. Im Winter bringt sie die Skiläufer auf den Gipfel, heute die Fans der Tour. Dabei überwindet sie auf sieben Kilometern etwa 800 Höhenmeter, wir übrigens auch. Während Kay sich plagt, kreisen meine Gedanken darum, dass man derart leere Pisten, nur im Herbst, oder bei diesem Wetter haben kann.

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Mühsam geht’s voran über eine Skipiste. Vor Jahren habe ich hier schon den ein- oder anderen entspannten Schwung gezogen. Angst vor grünen Hängen müssen Skifahrer hier nicht haben: Fast surreal wirken die stillgelegten Schneekanonen und warten schon darauf, im nächsten warmen Winter, 210 Pistenkilometer zu beschneien. Fast könnte man glauben, das alles was nicht Wald oder Felsen ist, zu irgendeiner Skipiste gehört. Immerhin, die SkiWelt Wilder – Kaiser Brixental gilt als das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs mit 91 Liftanlagen und 279 Pistenkilometern. Immer wieder führen Pistenabschnitte durch Waldstücke. Über hohe Treppen und steilen Waldwegen tauchen wir ein in die Stille und Einsamkeit des dichten, dunklen Bergwalds und so mancher Baum trägt ein rotweißrotes Tattoo.

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Nur die anderen Läufer auf der Strecke erinnern uns daran, dass man den Aufstieg nicht exklusiv hat. Das Mittelfeld zerfällt im weiteren Verlauf der Etappe immer mehr. Schon bald müssen wir es zum zweiten Mal am heutigen Tage abreißen lassen. Nach der Blase das nächste Problem. Kay bekommt Krämpfe, wir versuchen mit Salztabletten und Magnesium gegenzusteuern. Es geht für ein paar Kilometer gut. Im Winter sicherlich nur eine blaue Abfahrt, fühlt es sich heute an wie eine schwarze Piste.

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Bergan gehen wir zur urigen um 1778 erbauten Rübezahl-Alm die sich auf 1.200 Meter befindet. Die wirklich traumhafte Kulisse dieser Alm nutzten schon viele Filmproduzenten. So zum Beispiel: „Lustige Musikanten“, „Melodien der Berge“ und viele, viele andere.

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Für uns geht es weitaus langsamer voran, als erhofft und erwartet. Über 3 Kilometer begleiten uns 22 riesige hölzerne Gestalten. Wir sind auf Österreichs längstem Schnitzfiguren-Wanderweg unterwegs aber noch immer nicht oben. Der klare türkisfarbene Tanzbodensee glitzert in der Sonne, er ist sozusagen von Bergen umschlungen. Über uns wölbt sich ein strahlend blauer Himmel und in all dieser Harmonie bekommen wir die Krise. „Tja; das war es dann wohl“ sage ich zu Kay. Und für einen Moment hält jeder die Luft an. Wir bleiben beide stehen, als warteten wir ab um zu sehen, was nun passieren würde.

Kays Kleider sind durchnässt und weiß vom ausgetretenen Körpersalz. Schweißperlen rinnen langsam über das Gesicht. Der Kaisermarathon fordert ihre Opfer: Heute erwischt es Kay. Eine Läuferin, die uns überholt meint es gut mit uns und versucht uns zu motivieren. Aber mittlerweile habe ich kapituliert. Es gibt schlechtere Stellen um aufzuhören, spuckt es mir durch den Kopf. Kay will weiter, bei mir ist die „Luft“ raus. Ist es die Ruhe, die bei mir im Kopf bereits eingekehrt ist oder vielleicht doch auch Erschöpfung?

Mir fällt die Sage von der Kröte wieder ein und dass die Geschichte so nicht stimmen kann. Denn im wahren Krötenleben, sind es die Krötenweibchen, die die oft Kilometer langen Wege bis zu einem Tümpel auf sich nehmen. Die Krötenmännchen lassen sich einfach tragen. Empörend aber wahr – huckepack. Noch bedenklicher ist es, wenn eine Erdkröten-Lady bis zu 10 Männchen auf dem Rücken spazieren trägt.

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Kilometer 28 ist erreicht. Dass der Weg zur Tanzbodenalm zu den beliebten Routen gehört, wird beim Überqueren der Terrasse klar: Sie ist bis auf den letzten Platz mit Ausflüglern besetzt. Und es herrscht Hochstimmung. Jeder Athlet wird mit Namen und Beifall begrüßt.

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Kurz darauf wird es wieder ruhig, ich kann sogar das Pfeifen der Murmeltiere erkennen. Außer ihren breiten Fladen, haben uns die Kühe hier oben nichts hinterlassen. „Aufgeboscht“ und mit einer „zünftige Musi“ wurden sie vor vierzehn Tagen von den Almen ins Tal gebracht. Einst alte Bauernhöfe, heute „Event-Almen“ liegen direkt auf unserer Strecke. Auf einem Skiziehweg laufen wir leicht bergab unser Ziel, die Hohe Salve, im Blick.

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Wir erreichen die Filzalm mit einer Labestation und den Filzalmsee. Wir sind etwa bei Kilometer 34 angelangt. Nach einer erneuten letzten kurzen Steigung führt die Strecke nun über knapp acht Kilometer und 600 Höhenmeter (!) im Abstieg weiter zum Hexenwasser in Hochsöll auf 1.120 Meter. Steil geht es bergab, nicht wirklich ein Jubelfest für Oberschenkel und Fußnägel.

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Hier in der Almenregion vor der Kulisse des Wilden Kaisers und am Knotenpunkt eines Wanderwegenetzes gelegen ist die Mittelstation der Bergbahnen. Wir laufen am 450 Meter langen „Wasserweg“, dem längsten Barfußpfad Österreichs, entlang nach oben. Wie gerne würde ich mit nackten Füßen in das eiskalte Wasser, wären da nur nicht die spitzen Bachkiesel. Ein Wanderer liegt erschöpft in einer der breiten Sonnenliegen und raucht eine Zigarette. Sicherlich ruht er sich aus von seiner Suche nach einem anständigen Bier und einem nicht minder anständigen Jausen-Teller.

Stunde um Stunde vergeht. Doch wenn die Vorbereitung, und sei es auch nur durch fehlende Mineralien, nicht stimmt, leidet auch die Ästhetik, der ganz persönliche Genuss an der Natur. Dann sieht sich so mancher Läufer gezwungen, vor der Entscheidung zum Aufgeben zu stehen. Ich werde wütend. Kay „beißt“ sich weiter durch. Es ist Nachmittag. Wir haben keine Ahnung, in wie viele Gruppen sich die Teilnehmer mittlerweile aufgelöst haben und wie weit zurückgefallen die letzten wohl sind.

Etwas gewöhnungsbedürftig sind die roten Dinger auf den Laufschuhen schon. Jeder Läufer trägt diese Zeitmess-Chip-Streifen an beiden Schuhen zu seiner Startnummer. Jeder führt seinen eigenen Kampf, muss sich selbst überwinden. Wütend darüber, dass Kay nicht aufhört, zerre ich mir diese Dinger von den Schuhen und ziehe meine Startnummer aus. Mein Versuch, ihn damit zum Aufgeben zu motivieren, spornt ihn nur noch mehr an, das Ziel zu erreichen. Nur die Berge sind dabei stumme Zeugen. Kilometer 39 KM. Der Blick auf den steilen Bergrücken lässt nun auch Frohnaturen ernst blicken. 30 Prozent beträgt die Steigung der drei Kilometer langen schwarzen Skipiste. Stetig klettern wir den zeitweise matschigen und rutschigen Grashang hinauf. Nur das leise Surren der Gondel ist zu hören. Manchmal, wenn eine Gondel über unseren Kopf hinweg schwebt, blicken wir leicht neidisch nach oben und die Finisher mitleidig zu uns nach unten.

Die Kilometermarken folgen nun im Abstand von 500 Metern, so manchen Läufer vor uns haben sie schon den letzten Nerv gekostet. Vom Berglauf erwartet man einfach, dass er uns über Gebühr strapaziert und leiden lässt.

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Und wirklich, dieser Teil des Weges zermürbt. Mit unzähligen kleinen Schritten bewegen wir uns Stück für Stück vor im „Krötengang“. Langsam und behäbig wagte auch sie sich aus ihrem Quartier im Wald. Die arme Kröte kam nur langsam vorwärts und oftmals hatte sie sich vor den Grausamkeiten unverständiger Menschen zu verbergen, auch mein Schwiegervater erzählt von „Jungbubenstreichen“ wie Kröten aufblasen. Vielleicht ist das ja auch der Grund, dass beim Kaiser Marathon keine Stöcke erlaubt sind?

Auf zum Höhenflug mit dem roten Bullen

Wir sind am letzten Basislager, einen Kilometer unterhalb der von Hexensagen umhüllten Hohe Salve angekommen. Es ist der härteste Teil der Tour de Tirol. Ein Berg der Wertung A, besonders steil und anspruchsvoll. Nun liegt er vor uns, der Gipfel. Jeder Schritt wird zur Qual. Jetzt nur nicht hängen lassen, wir kommen kaum voran. Aber auch andere Läufer werden von Krämpfen geplagt. Gemeinsam kämpfen wir uns Meter für Meter nach oben. Ganz anders erleben dies die Paraglider, die kurzfristig für Ablenkung sorgen.

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Lautlos gleiten sie am Höhenrücken entlang. Selbst das rote Zaubergebräu des österreichischen Getränkeherstellers beflügelt Kay nicht mehr und es kann doch wohl nur mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese letzten Kilometer nicht auch noch zu Ende bringen. Und nur mal so am Rande, wenn dieses hochdosierte koffeinhaltige 60 ml Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr hilft, dann vielleicht nur noch ein Wunder. Ein letzter giftiger Schlussanstieg. Da, endlich das Ziel. Wie als Geste der Versöhnung liegt vor uns. Die göttliche Fügung dieser Gebirgsepisode wollte es wohl, dass auch wir den Gipfel irgendwann erreichen, mit einem 60 minütigen Zeitpuffer bis zum Zielschluss. Wie durch ein Wunder wird meine Zeit doch gewertet und ich bleibe im Rennen.

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Der Gewinner des „virtuelle“ gepunkteten Trikots ist der Schweizer Patrick Wieser. Das gepunktete Trikot steht bei der Tour de France dem Führenden der Bergwertung zu. Patrick hat aber nicht nur die Führung übernommen, sondern auch einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Nach unglaublichen 3:03:26 Stunden lief er ins Ziel. Damit hat er einen über fünf minütigen Vorsprung vor den ehemaligen Kaiser des Kaiser Marathons, Jonathan Wyatt und gar zehn Minuten vor dem gestrigen Erstplatzierten, Adam K. Wohlgemerkt, an einem Berg der ersten Kategorie!

Und bei den Damen? Da steht Jasmin Nunige kurz davor, die Tour de Tirol zu gewinnen. Den wichtigsten Meilenstein dafür hat sie heute gesetzt. Sie kam mit einer ebenso phantastischen Zeit von 3:39:47 Stunden ins Ziel.

Übrigens, die markante Gestaltung des Bergtrikots (bei der Tour de France) geht auf den französischen Schokoladenhersteller „Chocolat Poulain“ zurück, der seine Schokolade in weißem Papier mit roten Punkten verkaufte und das Trikot ursprünglich sponserte. Obwohl der Sponsor inzwischen gewechselt hat, wurde die Punkt-Optik bis heute beibehalten.
Aber jeder, der die Hohe Salve beim Kaiser Marathon erreicht, ist ein Gewinner und erhält ebenfalls ein Trikot. Zum Glück nicht rotweiß gepunktet aber in frischen Apfelgrün. Da sitzen sie nun, die Finisher in ihren apfelgrünen Trikots und um den Hals eine handgearbeitete Medaille aus Glas. Hergestellt von der 1626 gegründeten Tiroler Glashütte in Kramsach-Rattenberg. Die Tour de Tirol ist eben einzigartig – in allen Bereichen!

Der Berg groovt

Kay‘s Erschöpfung weicht schnell dem Glück, denn diese Live Alpen-TV Panoramaaussicht, lässt einen die Strapazen des Laufes schnell vergessen. All das ist der Kaiser Marathon, mit einer Dramaturgie, die auch schon mal die Emotionen durcheinander rütteln kann. Den Kleiderbeutel erhalten wir direkt nach dem Zieleinlauf. Viele Beutel warten vergeblich auf ihre Besitzer. Die einmalige Sicht auf die Bergketten mit mehr als 70 Berggipfeln über 3000 Meter haben wir uns heute wahrlich verdient.

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Auf der Drehterrasse der Gipfelalm ist kaum ein Sitzplatz frei. Vor uns feierten schon um 1600 die Menschen ihre Sonnenfeste auf dem Gipfel – heuer die apfelgrüne Läuferscharr! Den wenigsten wird dabei auffallen, dass sie auf der Nasenspitze des drei Meter hohen Salvenriesen sitzen. Zwischen all dem bunten Treiben steht unscheinbar das 400 Jahre alte Salvenkirchl – die höchstgelegene Wallfahrtskirche Österreichs. Die tiefstehende Sonne scheint durch ein Kirchenfenster und ein einziger Lichtschein bestrahlt die Heiligenfigur an der Wand im inneren der Kirche. Bereits 1617 wurde der erste Betbruder erwähnt. Er war zuständig für Messdienste und Ausschank. Beim Herannahen eines Gewitters, schwang er eine weiße Fahne um die Talbewohner vor der drohenden Gefahr zu warnen.

Die Kröte auf der Hohen Salve

Die Sonne brennt heute vom Himmel. Die hässliche Kröte fühlt sich bei mild-feuchtem Klima am wohlsten. Endlich erreicht auch sie nach Jahr und Tag, den Gipfel der Hohen Salve. Die frommen Kirchgänger jedoch wollten das grüne Getier nicht in ihre kleine Kirche lassen. Sie wird mit Fußtritten weggekickt. Sie kämpfte aber und gab nicht auf. Als sie es schaffte, dreimal um den Altar zu springen, verwandelte sich die Kröte in einen Mann. Die verblüfften Beter und Pilger staunten nicht schlecht. Ungläubig lauschten sie seinen Erzählungen vom Räuberleben und seines Freispruches, danach verschwand er und ward nicht mehr gesehen – bis heute.

Mit einer der letzten Gondeln schweben wir hoch über der Laufstrecke hinunter bis zur Mittelstation in Hochsöll. Nur noch einmal umsteigen in die Gondel mit dem Hexenbesen und vorbei an der Stampfanger Kapelle. Bereits nach wenigen Minuten sind wir zurück im Tal.

Wer jedoch das morgige Finale dieses modernen Heimatfilms erleben möchte, muss schnell regenerieren können und bis zum Ende durchhalten.

Die Tour d’Honneur (Sonntag)

Der letzte Tag der Tour de Tirol wird noch mal spannend werden. Nach der gestrigen knackigen 42,2 Kilometer langen Etappe steht nun zum Abschluss der 21,095 kilometerlange und flache Halbmarathon im Programmheft. Auf uns warten sieben Runden à drei Kilometer jede Runde mit 6 Höhenmetern.
Der Tag empfängt uns mit Nieselregen und es hat deutlich abgekühlt. Heute treffen wir uns mit den anderen Läufern erst ab 13.00 Uhr am Start. Es ist Sonntag. Zeit zum Ausschlafen, regenerieren, Blasen versorgen und für ein ausgiebiges Frühstück.

Werden die gestrigen Sieger Jasmin und Patrick den Schweizer Gesamtsieg auch ins Ziel laufen? Es könnte knapp werden. Bei der Tour de France wird der Führende im Gesamtklassement auf der letzten Etappe ja nicht mehr attackiert, so ist es Tradition. Hier nimmt aber keiner der Athleten darauf Rücksicht und so wird die Schlussphase noch mal richtig spannend: Denn Jonathan Wyatt kann einen flachen Halbmarathon mal eben so in 1:03 Stunden (!) laufen und wird alles versuchen, seinen Thron zurückzuerobern. Die Präsentation der Spitzenathleten ist selten und erfolgt nach der Gunderson Methode. Dies ist ein Startmodus aus der Nordischen Kombination. Der Norweger Gunder Gundersen entwickelte den Startmodus.

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Die Gesamtführenden (Damen/Herren) starten um 13:00 Uhr. Die Verfolger, die weniger als 30 Minuten Rückstand nach zwei Tagen haben, starten mit ihrem angesammelten Rückstand. Diese Methode ist zuschauerfreundlicher und spannender. Um 13:30 Uhr startet das restliche Läuferfeld per Massenstart und Nettozeitnahme. Trotz des Regens ist die Stimmung ausgelassen. Kaum einer lässt es sich entgehen, die Spitzenläufer zu erleben und anzufeuern.

Die Spannung steigt. Wie beim Einzelzeitfahren werden Eliteläufer aus der Startrampe auf die Strecke geschickt. Nach etwas mehr als einer kurzweiligen halben Stunde sind auch wir unterwegs. Trotz „dicker“ Oberschenkel läuft so mancher am dritten Tag auf der Halbmarathonstrecke sogar noch Bestzeit, habe ich gehört. Wir laufen gut behütet, sozusagen im Peloton auf dem sieben Runden langen Kurs. Wie immer wollen wir von hinten gemächlich starten und diese letzte Etappe für uns zu einer Jubel-Etappe mit einem kleinen Plausch, bereits an dieser Stelle feiern. So wie dies bei der Tour de France eben auch üblich ist.

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Aber wir haben von gestern noch was gut zu machen und starten daher motiviert. Viel zu schnell setzen sich kleine Ausreißergruppen vom Feld ab. Erst später erkenne ich, dass dies Läufer einer Tagesetappe sind und nicht Gesamt-Tour-Läufer. Das Tempo ist hoch, als wir auf der „Hauptstraße“ von Söll in Richtung Dorfkirche laufen.

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Die Ruhe am angrenzenden Friedhof ist heute gestört, denn trotz strömenden Regens lassen es sich die Söller nicht nehmen, uns gellend anzufeuern. Die Hohe Salve ist nicht zu sehen, sie liegt versteckt im Nebel. Heute herrschen dort oben 3 Grad Celsius und 60 km/h Windgeschwindigkeit und es hat wieder stärker angefangen zu regnen. Routen, die bei Sonne leicht zu begehen sind, können bei Schnee und Nebel ernste Probleme aufwerfen. Unerwarteter Schneefall zum Beispiel kann schnell die eigenen Fähigkeiten überfordern. Nicht auszudenken was gewesen wäre wenn… Für einen schnellen kurzen Lauf ist es heute jedoch bestmögliches Läuferwetter.

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Rein ins feuchtfröhliche Naturvergnügen

Die vielen immer größer werdenden Pfützen und die immer schwerer werdenden Schuhe, machen auch diese Strecke spannend.

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Wir passieren die drei Meter große Glassonne am Kreisverkehr der verkehrsgesperrten Bundesstraße. Nach einigen Metern laufen wir wieder in den Ort. Dort stehen Kilometerschilder 1,4,7,10,13,16,19 – für jede Runde eines. Vereinzelt überholen uns Spitzenläufer. Eine scharfe Linkskurve, vorbei an einer Söller Schule auf einem, Runde um Runde, matschiger werdenden Weg. Verdutzte Blicke der Kühe als plötzlich ein lautstarker Schrei durch die Ortschaft halt, dann noch einer, noch lauter. Die Kühe kauen gelangweilt weiter. Ein weißbesockter amerikanischer Läufer kann nicht mehr folgen. So triefend Nass wie er ist, läuft er an einen elektrischen Weidezaun. Der Schock lässt ihn nun Adrenalin auf Hochtouren produzieren. 2,5,8,11,14,17,20 auf jeder Runde wird uns Wasser und flüssiges Leistungskonzentrat gereicht. Unüberhörbar hallen die Musik und die Namen derer, die das Ziel erreicht haben, zu uns herüber.

Tour-Zieleinlauf

Alle Kräfte mobilisieren auf der letzten halben Runde in Richtung Tour de Tirol Dorf. Mit den letzten verfügbaren Körnern geht es über den roten Teppich und die Rampe mitten durchs Ziel. Längst herrschen dort pure Emotionen. Manchen treibt es Freudentränen in die Augen. Zwischen zwei glücklichen Läuferinnen berlinert unablässig ein Finisher: „Dett is janz großet Kino hier, janz groß!“. Ob Kay lächelt, kann ich nicht erkennen, da sein Mund nach drei Tagen ohne Rasur von einem wilden Bart überwachsen ist. Wir freuen uns über einen weiteren gemeinsamen Zieleinlauf nach 73 Kilometern bei der Tour de Tirol, gerade deshalb, weil es manchmal anders kommt als man vorher denkt.

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Noch völlig benebelt von all der Gefühlsduselei bekommen wir ein leuchtorangefarbenes JOL Stirnband (passend zu unseren m4you Shirts) und eine große JOL Tasche in die Hand gedrückt und die Sieger einen Glaspokal. Den zweiten Glaspokal erhält tatsächlich auch in diesem Jahr Jasmin Nunige. Sie bleibt konkurrenzlos, gewinnt souverän alle drei Etappen und ist damit auch die Gesamtsiegerin bei den Damen.

Jonathan hat seinen Kaiserthron nicht zurückerobern können. Mit einem Vorsprung von über acht Minuten und einer Gesamtzeit von 4:45:54 Stunden gewinnt der Schweizer Patrick Wieser die Tour de Tirol. Jonathan belegte den 2. Platz mit einer Zeit von 4:54:19 Stunden und Adam in 4:55:10 Stunden. Bester deutscher ist Hans Mühlbauer mit einer Zeit von 5:41:03 Stunden und erreicht damit den 9. Gesamtplatz. Beste deutsche Läuferin ist Catherine Bayer-Klier. Sie belegt Platz 6 mit einer Zeit von 6:59:08 Stunden.

Resümee: Rekorde, Rekorde, Rekorde! Ein Rekordläufer am Start, Rekord-Teilnehmerzahlen und ein Strecken-Rekord beim Kaiser Marathon. Das Konzept muss stimmen. Die Tour de Tirol ist ein modernes und trendiges Reality-TV-Angebot, welches der Läufer nicht nur passiv konsumieren, sondern selbst, interaktiv, beeinflussen kann und die Läufe sind, wie auch im Film, Jahr für Jahr beliebig wiederholbar. Die Tour hat den „Oskar“ verdient.